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Nachtflug Zur Hölle

Nachtflug Zur Hölle

Titel: Nachtflug Zur Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dale Brown
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er Soldaten der Brigade Eiserner Wolf zu einem Kordon aufmarschieren lassen. Wie er Anna Kulikauskas versprochen hatte, provozierten sie die Demonstranten nicht durch zur Schau getragene Gewaltbereitschaft. Sie trugen ihre Schlagstöcke unter den Jacken, ihre Hunde blieben in den Fahrzeugen, die außer Sicht geparkt waren, und schlagfeste Baseballmützen mit Ohrenschützern ersetzten die sonst üblichen Helme mit Visier. Schußwaffen oder Tränengasgranaten waren nirgends zu sehen.
    Anna, die neben General Palcikas stand, war sichtlich beeindruckt und hatte dies auch schon mehrmals geäußert.
    Und Palcikas war immer mehr von Anna beeindruckt. Seit er sie auf dem Hof ihres Vaters kennengelernt hatte, war sie ihm sympathisch. Gewiß, sie waren in vielen Dingen unterschiedlicher Auffassung, aber trotzdem wuchs seine Achtung für sie, und die Bewunderung, die er für sie empfand. Er mußte sich eingestehen, daß er Anna liebgewonnen hatte.
    Schätzungsweise 3000 Demonstranten drängten sich wogend auf der Straße gegenüber dem Haupttor zum Gelände des Forschungsreaktors. Weniger als hundert von ihnen standen in der Nähe dieses Tores Palcikas’ Soldaten hinter einer kleinen Absperrung aus rot-gelben Sägeböcken gegenüber. Diese Demonstranten sangen laut das Lied »Wiedergeburt einer Nation«, das rasch zu einer Art litauischer Version von »We Shall Overcome« geworden war.
    Immer wieder traten Frauen oder Kinder vor, um einzelnen Soldaten Blumen zu schenken, die dankend angenommen und vorläufig am Stahlbetonsockel des massiven Schutzzauns niedergelegt wurden. Eben hatte eine Frau einem Soldaten einige Blumen geschenkt … und einen Kuß. »Davon ist nie die Rede gewesen, Miss Kulikauskas«, sagte Palcikas, der Mühe hatte, ein Lächeln zu unterdrücken.
    »Rein spontan, das versichere ich Ihnen, General«, antwortete sie.
    »Das ist nicht geplant gewesen.«
    »Heute nachmittag brauchen wir keine Spontaneität«, stellte er fest. »Wir brauchen Kontrolle.«
    »Das ist doch harmlos gewesen, General.«
    »Erst Blumen, dann ein Kuß; jetzt rufen manche schon, die Frau solle Ihr Plakat am Zaun niederlegen«, antwortete Palcikas. »Was kommt als nächstes? Tomaten? Faule Eier? Molotowcocktails?«
    »Sie brauchen nicht gleich zu übertreiben, General«, wehrte Anna ab. Sie hob ihr Handfunkgerät an die Lippen. »Algimantas, hier Anna. Liana soll nichts mehr an den Polizeikordon bringen. Benachrichtige alle Abschnittsführer – niemand soll sich dem Kordon nähern.« Sie machte eine Pause, sah resigniert zu Palcikas hinüber und fügte hinzu: »Die Anweisung kommt von mir, nicht vom General.«
    »Danke«, sagte Palcikas. »Je weniger Überraschungen meine Männer erleben, desto besser ist’s für alle.«
    »Richtig«, bestätigte Anna, »aber jeder braucht ab und zu einen Kuß.«
    Palcikas nickte ihr lächelnd zu. Anna erwiderte strahlend sein Lächeln und zwinkerte ihm dabei zu.
    Sie standen auf dem Parkplatz eines Bahnhofs gegenüber vom Fisikus-Institut auf einem Podium, ungefähr hundert Meter von dem aufs Reaktorgelände führenden Tor. Ebenfalls anwesend waren rund zwei Dutzend Menschen, darunter Vladas Daumantas, der Vizepräsident der Republik Litauen, die Botschafter Englands und Polens, der Vorsitzende der großen Volkspartei Sajudis und Vertreter mehrerer Behörden. Der Ehrengast war ein amerikanischer Senator: Charles Vertunin aus Illinois, der als Sohn litauischer Einwanderer für eine Vertiefung der Beziehungen Amerikas zu allen baltischen Staaten eintrat. Mehrere tausend Menschen umringten das Podium und warteten auf die Reden der illustren Gäste.
    Palcikas wandte sich erneut an Anna Kulikauskas. »Wie ich gehört habe, wollen Sie heute nachmittag Ihre Festnahme provozieren.
    Halten Sie es für klug, Anna, wenn die Veranstalterin sich abführen läßt? Ist das nicht ein falsches Signal für Ihre Mitstreiter?«
    »Es ist eher eine protokollarische Notwendigkeit«, entgegnete Anna, »weil Senator Charles Vertunin aus Amerika sich ebenfalls festnehmen läßt.«
    »Was?« ächzte Palcikas entgeistert. »Der Amerikaner läßt sich auch verhaften? Das hat mir kein Mensch gesagt!«
    »Das ist seine Idee gewesen«, erklärte Anna ihm. »Machen Sie sich keine Sorgen – alles ist mit dem US-Außenministerium und dem Büro des Senators besprochen. Sie brauchen sich nicht eigens um ihn zu bemühen.«
    »Miss Kulikauskas, das ist nicht lustig!« Der General zog Anna etwas von den anderen fort. »Wir alle wissen,

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