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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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den Rückweg verblieben war. Ishmael sagte: ›Benutzen Sie sie, wenn es sein muss, aber vorsichtig. Und benutzen Sie mich.‹
    ›Ich brauche nicht …‹ Sie spannte jetzt alle Kräfte an und spürte die Anstrengung, die es bedeutete, die Flammen zurückzuschlagen, ihre Tochter zu tragen und einen Fuß vor den anderen zu setzen.
    Sie spürte auch, wie seine Angst um sie wuchs. Seine Gedankenstimme war grimmig. ›Sie müssen. Ich werde Sie nicht verlieren.‹
    Sie spürte die ihr angebotene Lebensenergie, sog sie ein und benutzte sie. Und bemerkte gleichzeitig, wie seine Erschöpfung wuchs. Mit müden Schritten bewegte sie sich durch das feurige Chaos, geleitet von Ishmaels Gefühl für die korrekte Richtung, da sie sich nicht mehr an ihrem Kind orientieren konnte. Ihr Rock verfing sich an irgendetwas; sie peilte das Hindernis und riss ihn frei. Es hatte sich um einen verbrannten, verbogenen Stock gehandelt, der schief aus einer größeren Masse in den Flammen herausragte.
    Ishmael sagte drängend: ›Gehen Sie weiter!‹
    Ein weiterer Schritt, und sie begriff, was es war: die verkohlten Überreste des Männerbeines. Ihre Konzentration versagte für einen kurzen Moment. Die Blase zerriss. Ishmael schrie in ihren Gedanken, als er über die Entfernung zwischen ihnen hinweggriff, um einen Herzschlag lang das Inferno allein zu bannen. Sie nahm ihm die Bürde ab, ihre Magie zerrte an seiner, und sie spürte, wie sein Bewusstsein einer Kerze gleich erlosch, sodass sie ganz allein inmitten des Feuers zurückblieb.
    Später konnte sie sich nicht daran erinnern, wie sie die verbliebenen zehn oder zwölf Schritte bis zur Tür geschafft hatte. Sie trat durch die Tür in die feine Gischt der Feuerwehrschläuche, während der sie umgebende Flammenball sich nach oben hin auflöste. Durch das wilde Kräuseln der erhitzten Luft und des Wassers nahm sie die Menschenmenge wahr, die sich bereits versammelt hatte, und verspürte für einen Moment pure gesellschaftliche Panik bei dem Gedanken an so viele Zeugen – und dann begriff sie, dass sie sie vor der Feuerwand noch schlechter würden peilen können als umgekehrt. Da der ungeheure Verbrauch ihrer Magie ein Ende gefunden hatte, ging sie jetzt mit festem Schritt an der Seite des Gebäudes entlang und trat erst dort in die Menge. Niemand sprach sie an; alle hatten sich dem feurigen Chaos der Flammen zugewandt. Florilinde regte sich in ihren Armen und wimmerte. Telamine berührte sie sachte mit Magie und besänftigte sie, während sie sich weiter durch die Menge schob. Mehrere Personen streiften sie mit ihrem Sonar; sie rochen Rauch, begriff sie, Rauch und den versengten, verkohlten Stoff an ihrem Kleid. Sie erwiderte die Peilrufe nicht und schob sich durch die Menge, Florilinde fest in den Armen. Jeder, der sie ansprach, würde es bereuen.
    Sie überquerte die Brücke und das Gedränge weiterer Zuschauer, die von dem Feuer zu erregt waren, um ihr große Aufmerksamkeit zu schenken. Die Trambahnen schienen beim ersten Klang der Feuersirenen stehen geblieben zu sein, sodass sie ohne Weiteres über den Fahrdamm gehen konnte. Abermals regte sich Florilinde wimmernd, und plötzlich erbrach sie sich über Telmaines Mieder. Telmaine hielt inne, bettete das Kinn auf Floris verschwitzte Stirn und ließ ihr Bewusstsein in den Körper ihrer Tochter sinken. Sie fand keine Verletzung, keine Brandwunde, nur den Rest einer leichten Magenverstimmung – sie hatten ihr verdorbenes Essen gegeben.
    Wäre dies nicht geschehen, hätte sie auf ihrem Bett gelegen, als die Falle der Schattengeborenen aufloderte, und Telmaine hätte sie ebenso wenig retten können wie diese Männer.
    Sie erreichten den Oberhafenkreisel, ohne belästigt zu werden, und – grundgütige Imogene – die Droschke war noch da, der Kutscher stand auf seinem Sitz und spitzte die Ohren, um zu hören, was außerhalb seines Sonars geschah. Mit einem heiseren Schnarren sagte Telmaine: »Helfen Sie mir.«
    Beinahe hätte er abgelehnt, besorgt um seine Polsterung. Eine Berührung ihrer Finger durch ihren verbrannten Handschuh verriet ihr seinen Konflikt in ihm zwischen dem Mitgefühl eines Vaters für ein krankes Kind und der Sorge eines Brotverdieners, der von seinen mageren Gewinnen seine eigenen Kinder ernähren musste. Ihr wurde bewusst, dass sie kein Ridikül mehr besaß; sie hatte es fallen gelassen – sie wusste nicht, wo. Der Verlust von Balthasars Liebesknoten versetzte ihr einen Stich – wenngleich nur einen schwachen. Sie

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