Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren
Ausbildung begann, verpflichteten ihn, das Beste für jeden Magier zu tun, den er entdeckte. Und zwar ohne jede Einschränkung, denn dazu gehörte alles, was dem Neuling in einer ihm feindlichen Welt das Überleben erleichterte.
Allerdings war er dafür verantwortlich, was er lehrte und wie das Gelehrte angewendet wurde, bis seine Schüler selbst die Verantwortung übernehmen konnten. Er würde sie lehren, eine Pistole zu benutzen, wenn er glaubte, sie bedurften dieses Wissens. Warum sollte es sich mit magischen Fähigkeiten anders verhalten?
Er war kein großer Denker, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sein Gefühl zu akzeptieren. Er mochte sie bewundern und sich zu ihr hingezogen fühlen, aber er kannte sie nicht so gut, um ihr völlig zu vertrauen. Jetzt wünschte er, er hätte ihre bloße Hand in seine genommen, denn dann verfügte er jetzt sicherlich über das Wissen, das ihm eine solche Entscheidung ermöglicht haben würde. Aber er hatte es versäumt.
Ohne weiter darauf zu achten, hörte er von der Treppe her leise Schritte und das Rascheln von Stoff – nichts, was eine Bedrohung ankündigte. Doch die Stimme eines Mannes erregte seine Aufmerksamkeit. Sofort war er auf den Füßen und draußen auf der Treppe. Aus den verzerrten Abbildern ihrer Sondierungen erkannte er zwei Personen, die einander vor der Tür gegenüberstanden, der Freischärler, ein kräftiger und eher schüchterner junger Mann, der aber nichtsdestotrotz die Hausherrin daran hinderte, hinauszugehen. Telmaine sagte: »Ich werde jetzt gehen. Ich muss meine Tochter finden.«
»Verehrte Telmaine«, sagte Ishmael und wurde mitten auf der Treppe zum Ziel ihrer beider überraschten Sondierung. Er streifte sie seinerseits kurz mit einem Ultraschallruf, die Dame hoch aufgerichtet, in dem Mantel, den Handschuhen und dem Schleier, in denen sie angekommen war, und den junge Mann, zwar eingeschüchtert, aber doch entschlossen, seine Pflicht zu tun.
»Ich werde Tercelle Amberley aufsuchen«, sagte sie. » Nicht eine Minute länger werde ich mein Kind dieser abscheulichen Gefangenschaft überlassen. Mein Mann würde gehen, wenn er dazu imstande wäre; da er es aber nicht ist, muss ich es tun.«
Ishmael traf eine rasche Entscheidung. »Ich begleite die Dame. Wir werden so schnell wie möglich wieder zurück sein. In der Zwischenzeit steht dieses Haus unter Bewachung, doch Sie sollten keinesfalls davon ausgehen, dass irgendjemand, den Sie sondieren, Ihnen freundlich gesinnt ist. Lassen Sie niemanden ohne Magistra Olivedes ausdrückliche Anordnung auch nur bis zu den Stufen des Hauses kommen.« Er ließ eine Hand über die Türpfosten und den Sturz gleiten und befand sie zwar kräftig für eine gewöhnliche Haustür, aber nicht stark genug, um einem entschlossenen Angriff standzuhalten. Doch es bedurfte eines stärkeren Magiers als ihm um sie zu verstärken, da es sich um unbelebtes Material handelte.
Telmaine zuckte zusammen, als die Tür sich hinter ihnen schloss. Sie schien kurz hin und her gerissen zu sein, fand dann aber zu ihrer Entschlossenheit zurück. Sie schritt flott die Stufen hinunter und zog eine kleine Pfeife hervor, auf der sie ein klares Arpeggio blies. Ein Kutscher am Ende der Straße straffte die Zügel seines Pferdes und setzte seine Kutsche in ihre Richtung in Bewegung.
»Wie wollen Sie sie finden?«, fragte Ishmael, während sie in der Kutsche Platz nahmen. »In ihrem Zustand hat sie sich sicher nicht mehr bei ihrer Familie oder Freunden aufgehalten oder an irgendeinem Ort, an dem die Möglichkeit bestand, jemand Bekannten zu treffen. Sonst wäre ihre Schwangerschaft ja publik geworden.«
Sie presste die Lippen aufeinander. »Ich habe schon eine gewisse Vorstellung«, sagte sie, lehnte sich aus dem Fenster und rief dem Kutscher eine Adresse zu. Eine Adresse in einem Viertel am anderen Ende der Stadt, das für seine Neureichen und seine Dekadenz bekannt war.
»Und wessen Adresse ist das?«, fragte Ishmael, während die Kutsche sich rumpelnd und schaukelnd in Bewegung setzte.
»Nur Geduld«, sagte Telmaine, lehnte sich zurück und faltete die Hände, ein Bild verhaltener Sorge. Einen Augenblick später erklärte sie: »Balthasars Bruder, Lysander Hearne, hat ihr ein Haus hinterlassen.«
Hier also lag die Verbindung, die die Dame am Vorabend ihrer Niederkunft an Balthasars Tür geführt hatte. Er versuchte sich darauf zu besinnen, was er von Lysander Hearne wusste, aber er erinnerte sich lediglich daran, dass der Mann
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