Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
den paar Möbeln und Bilderrahmen, die er macht. Das geht nicht mehr, Commissario! Ich habe es ihm schon lange gesagt, dass es nicht geht! Und jetzt noch diese Krise, Commissario.»
«Ja, leider.» Guerrini rückte einen Stuhl für Signora Piselli zurecht, doch sie setzte sich nicht, sondern ging unruhig vor dem Fenster hin und her und rang die Hände.
«Was, leider, Commissario?»
«Leider geht es nicht mehr so, außer man ist Aussteiger und gibt einen Scheiß auf den Rest der Welt. Ich frage mich wirklich, warum die Leute früher überlebt haben und heute auf einmal nicht mehr!»
«Genau so ist es, Commissario, genau so! Aber ich bin keine Aussteigerin! Ich seh das gar nicht ein! Alle wollen immer mehr, vor allem die Politiker, und ich soll aussteigen, eh? Mach ich nicht!»
«Und?» Jetzt frage ich doch, dachte Guerrini, warum frage ich denn? Sie wird es sowieso erzählen!
«Wir sind zur Bank gegangen.» Plötzlich sprach sie ganz leise, senkte den Kopf. «Da war nichts zu machen, Commissario. Die haben uns nichts gegeben, obwohl wir den letzten Kredit zurückgezahlt haben. Jede Lira, jeden Cent! Dann haben wir noch eine Bank gefragt und noch eine. Es war … wie soll ich sagen … wir waren nichts wert. Das war ganz klar. Nichts wert.»
Guerrinis Mittelfinger klopfte schnell und leicht auf die Schreibtischplatte. Er bemerkte es kaum.
«Der Signor Altlander, der hätte uns einen Kredit gegeben. Sogar einen zinslosen, das kann ich Ihnen versprechen, Commissario. Der hatte ein Herz für uns kleine Leute.» Angela Piselli biss auf ihre Unterlippe und schniefte leise, schluckte dann vernehmlich und redete weiter: «Eines Abends hat Giuseppe, das ist mein Mann, gesagt, dass er doch einen Kredit bekommen hat. Ich hab nicht weiter gefragt, war einfach froh. Aber er war nicht froh, hat immer weniger geredet. Und vor einer Woche hat er plötzlich gesagt, dass wir ausziehen müssen. Ich hab das nicht begriffen, Commissario! Ich hab ihn angeschrien, ob er verrückt geworden sei! Aber dann hat er plötzlich zu weinen angefangen … Giuseppe hat noch nie geweint, seit ich ihn kenne, Commissario! Dann hat er den Tisch umgeworfen und einen Stuhl und noch einen!» Angela Piselli drehte sich weg und wühlte in ihrer Jackentasche. Sie zog ein Taschentuch hervor, tupfte über ihre Augen und knetete dann das Tuch mit den Händen.
Guerrini warf einen Blick auf ihre hängenden Schultern, legte den Kopf in den Nacken und studierte die feinen Risse an der Zimmerdecke. Von der fröhlichen geschwätzigen Haushälterin des deutschen Schriftstellers war nicht mehr viel übrig. Obwohl, geschwätzig war sie durchaus noch.
«Sie werden’s uns wegnehmen, Commissario. Das Haus seines Vaters und des Großvaters und des Urgroßvaters und Ururgroßvaters! Er wird’s nicht überleben, Commissario. Wissen Sie, was die an Zinsen verlangen? Zweihundert Prozent!»
«Wer sind die?»
«Ich weiß es nicht, Commissario. Giuseppe hat es mir nicht verraten! Zu gefährlich, hat er gesagt! Aber ich kann Ihnen eins versprechen: Die würd ich umbringen!»
«Wegen solcher Leute würden Sie ins Gefängnis gehen, Signora Piselli? Was die machen, ist in unserem Land ein Verbrechen. Es ist verboten! Zwar erst seit achtzehn Jahren, aber immerhin! Wucher ist verboten! Geld darf man nur verleihen, wenn man nicht mehr als fünfzig Prozent mehr Zinsen verlangt als die Kreditinstitute.»
«Beh, in unserem Land ist eine Menge verboten, und trotzdem passiert es andauernd! Die werden uns das Haus wegnehmen und die Werkstatt, auch wenn es verboten ist! Tallino, dem Automechaniker, gehört seine Werkstatt nicht mehr. Den hat’s auch erwischt. Er arbeitet jetzt für den Geldverleiher und kriegt einen Hungerlohn. Er sagt es keinem, weil er sich schämt! Und da gibt es noch viele andere, Commissario. Aber die Polizei sieht und hört ja nichts!»
Guerrini sprang auf und breitete die Arme aus. «Wie soll die Polizei etwas hören, wenn keiner was sagt, eh? Ist Ihr Giuseppe zu mir gekommen, um Anzeige zu erstatten? Hat dieser Tallino mit den Carabinieri gesprochen? Oder einer der anderen?»
Angela Piselli senkte den Kopf, ihre Schultern sanken noch ein wenig tiefer. «Sie haben Angst, Commissario. Alle haben sie Angst … ich auch.»
«Jaja, es ist immer das alte Lied, nicht wahr? Aber solange alle Angst haben, ändert sich gar nichts, Signora. Ich werde heute Nachmittag zu Ihnen nach Asciano fahren und mit Ihrem Mann reden. Sorgen Sie dafür, dass er da ist.
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