Nachtgieger
einem alten Wasserrad.
„Die Tote heißt Melanie Fleischmann, gebürtige Nürnbergerin. Sie wurde nur zweiunddreißig Jahre alt. Man hat ihre Leiche auf einem Schöpfrad in der Pegnitz unweit von Lauf gefunden.“
Sie deutete auf das nächste Foto.
Ein junges Mädchen blickte scheu lächelnd in die Kamera. Ihre langen, hellen Haare hatte sie zu Zöpfen geflochten und in einem dicken Kranz um ihren Kopf gelegt. Sie war eine richtige Schönheit.
„Das ist Linda Roßmeisl. Sie starb mit zweiundzwanzig Jahren. Das war die Tote auf dem Wasserrad bei Oberndorf, an die sich Mandy erinnerte. Bei unseren Computerrecherchen hätten wir das sowieso herausgefunden. Eine Studentin aus Erlangen.“
Darunter das Bild des Opfers, ebenfalls an dicken, verwitterten Holzstreben festgebunden und in weißes Tuch gehüllt.
Zwei weitere Fotografien zeigten Kati Simmerlein.
„Alle drei Frauen sind jung, attraktiv und haben lange, blonde Haare“, bemerkte Mandy.
Der Gerichtsmediziner nickte: „Und zumindest auf den ersten Blick sieht der Modus operandi auf den alten Wasserrädern, die Darstellung der toten Frauen, identisch aus.“
„Wann wurden die Frauen getötet, Sieglinde?“, wollte Gerd Förster wissen.
„Das ist interessant, Gerd. Melanie Fleischmann starb in der Nacht vom 15. auf den 16. Dezember letzten Jahres. Linda Roßmeisl wurde in der Nacht vom 15. auf den 16. Juni dieses Jahres getötet. Und Kati Simmerlein in der Nacht vom 15. auf den 16. September, aber das wisst ihr ja.“ Sieglinde holte tief Luft vor Aufregung.
„Das sieht nach einem bestimmten Schema aus“, überlegte der Kommissar. „Nach einem halben Jahr der zweite Mord, nach einem Vierteljahr das dritte Verbrechen.“
„Wenn er dieses Schema weiterverfolgt und wir ihm nicht rechtzeitig das Handwerk legen, wird die nächste Leiche in sechs Wochen gefunden.“ Mandy schauderte.
„Oder früher, wenn der Täter die Kontrolle verliert und sich seine Frustration, worüber auch immer, steigert“, fuhr Gerd Förster mit ernster Stimme fort.
Karl-Heinz von Hohenfels starrte gebannt auf die Pinnwand. Er konzentrierte sich auf die Geburtsdaten der drei Opfer.
Melanie Fleischmann, geboren am 19.11.77.
Linda Roßmeisl, geboren am 28.10.87.
Und Kati Simmerlein, geboren am 29.10.86.
„Alle drei Frauen sind im Sternzeichen des Skorpions geboren“, erläuterte er seinen Kollegen. „Und das ist noch nicht alles. Die Quersumme der jeweiligen Geburtsdaten ergibt die Zahl sechsundzwanzig. Nach der Lehre der Numerologie oder auch der Zahlenmystik, wenn ihr so wollt, haben Zahlen neben ihrer mathematischen Funktion noch eine weitere Bedeutung. Sechsundzwanzig sagt nichts Besonderes aus. Aber wenn wir nun von einer Täter-Opfer-Beziehung ausgehen, folglich von zwei Personen, ergibt das zweimal die Zahl Dreizehn. Und die hat sehr wohl eine Bedeutung. Nachbiblisch wurde die Dreizehn als eine teuflische Zahl verstanden, eine Störung der Zahl Zwölf. Im Mittelalter jedoch galt die Dreizehn als Glückszahl, sie symbolisierte die zwölf Jünger mit Jesus um den Abendmahltisch versammelt. Es ist die Zahl der Vollkommenheit.“
Er verstummte nachdenklich. Seine Kollegen sahen ihn verblüfft an.
Mandy fasste sich als erstes: „Mensch Carlo, du bist wirklich ein wandelndes Lexikon.“
Sieglinde konnte nicht ganz folgen.
Gerd Förster meinte grüblerisch: „Eine interessante Theorie,
Karl-Heinz. Vielleicht sucht der Mörder die Vollkommenheit einer Beziehung zwischen Mann und Frau. Die Frauen, die er kennenlernt, erfüllen seine Hoffnungen jedoch nicht, sondern enttäuschen ihn maßlos und werden deshalb von ihm bestraft und öffentlich zur Schau gestellt. Diese Möglichkeit behalten wir im Hinterkopf. Weiter müssen wir die Unterlagen und Berichte der Kollegen aus Nürnberg und Erlangen sorgfältig studieren und vergleichen.“
Die entscheidende Frage war: Handelte es sich bei dem Mörder von Kati Simmerlein um einen Nachahmungstäter oder um einen Serienmörder? Sie mussten nachprüfen, ob wichtige Informationen über die beiden ersten Verbrechen durch undichte Stellen an die Bevölkerung gelangt waren. Wenn sie es mit einem Serienmörder zu tun hatten, würde das Töten weitergehen. Sie mussten ihn also schnell finden, bevor er die nächste Frau ermordete.
Ein Polizist meldete die Ankunft von Gretchen Kaul. Die Kommissare hatten die Freundin von Kati Simmerlein nach Bamberg zur Befragung bestellt.
Gretchen war ein Jahr jünger als die Tote und lange
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