Nachtgieger
los. Wir haben schließlich eine Audienz bei einer Künstlerin.“
Gerd Förster fädelte sich auf dem Frankenschnellweg in den fließenden Verkehr ein.
„Oskar Beer hat uns angelogen“, stellte Mandy fest. „Den arroganten Burschen knöpfen wir uns morgen vor. Er hatte ein Verhältnis mit Kati Simmerlein. Sie hat Schluss gemacht und der erfolgsgewohnte Herr Unternehmer hat sich aus gekränkter Eitelkeit grauenhaft an ihr gerächt. Aber was ist dann mit den anderen beiden Opfern?“ Grübelnd fuhr sie sich durch ihr Haar.
„Wir sprechen morgen mit ihm“, erwiderte ihr Kollege. „Es ist auffällig, dass verschiedene Zeugen bisher berichtet haben, dass Kati Simmerlein sich seit einigen Wochen verändert hatte.“
„Vielleicht ist zu diesem Zeitpunkt der Mörder in ihr Leben getreten“, mutmaßte Mandy.
„Durchaus möglich.“
Der Kommissar verließ den Frankenschnellweg an der Ausfahrt Forchheim-Nord und folgte der Straße durch den Kellerwald, in dem jedes Jahr am letzten Wochenende im Juli das berühmte Annafest begann, hinauf auf eine Anhöhe an der Jägersburg vorbei. Dann führte ihr Weg durch einen dichten Mischwald, der bereits die ersten leuchtenden, herbstlichen Farben zeigte, auf einer schmalen Landstraße über einen Berg in die kleine, schmucke Ortschaft Weilersbach. Die Sonne stand inzwischen tief im Westen und die Luft kühlte sich langsam ab.
Sie fanden den Wohnsitz der Künstlerin etwas außerhalb, wo drei heruntergekommene Gehöfte mit zum Teil einsturzgefährdeten Fachwerkscheunen einen Weiler bildeten. Überall lagen Gerümpel und alte Autoreifen verstreut. Mitten im Hof in einer riesigen Schlammpfütze stand ein verrosteter alter Traktor, auf dessen Dach eine fette Katze mit rötlichem Fell thronte und gelangweilt auf sie herabblickte. Ein handbemaltes, buntes Schild begrüßte sie: „Willkommen in der Künstlerkolonie Weilersbach.“
„Alternative Aussteiger“, flüsterte Mandy.
Im schiefen Bauernhaus rechterhand öffnete sich eine Tür, von der die Farbe abblätterte. Mandy tippte auf ehemals griechenlandblau. Daneben, an der grauen Hauswand, waren türkis und meergrün lackierte Blecheimer aufgereiht, in denen mediterrane Pflanzen verkümmerten.
Eine Frau, deren Alter schwer zu schätzen war, etwa zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt, trat in den Hof und begrüßte sie. Sie schien etwas gestresst.
„Ich befinde mich soeben in einer akuten künstlerischen Schaffensphase und werde äußerst ungern gestört“, erklärte sie. „Machen Sie es kurz, wie kann ich Ihnen helfen?“
Mandy wollte schon aufbrausend reagieren, doch ihr Kollege legte ihr beschwichtigend die Hand auf die Schulter.
„Sind Sie die Künstlerin Melitta Morgenrot, haben Sie heute Nachmittag bei der Kripo Bamberg wegen des Fußkettchens angerufen, dessen Foto heute in der Zeitung abgebildet war?“, fragte er höflich.
Bei dem Schlüsselwort Künstlerin entspannte sich die Frau ein wenig und in ihrem faltigen, verhärmten Gesicht formte sich die Andeutung eines Lächelns. Sie war barfuß und trug zu ihrer weiten, schwarzen Pluderhose eine violette indische Baumwollbluse. Die matten, dunkelroten Haare hatte sie zu einem losen Pferdeschwanz gebunden.
„Wir müssen hier nicht im Hof stehen“, lenkte sie ein. „Folgen Sie mir ins Haus, ich habe gerade Lindenblütentee aufgebrüht.“
Sie liefen durch einen dunklen Gang und wurden in eine Küche geführt. Die niedrige Holzdecke und die zwei kleinen, tiefen Fenster, durch die wenig Licht in den Raum drang, verliehen dem Zimmer eine beklemmende, düstere Atmosphäre. Ein altmodischer gusseiserner Herd, in dem ein Feuer brannte, verbreitete ein bisschen Wärme. Auf dem Holztisch stand ein Stövchen mit einer bauchigen Teekanne. Sie nahmen Platz und Melitta Morgenrot schenkte ihnen Tee ein.
„Wenn ich recht verstanden habe“, begann Gerd Förster zielstrebig, „sind Sie eine Künstlerin, die Schmuck herstellt, Unikate.“ Er nahm einen Schluck von seinem Tee. Der war wirklich schmackhaft.
„Das ist richtig, Herr Kommissar. Ich entwerfe und gestalte Schmuck und Tonarbeiten, lasierte Gefäße und Figurinen. In der Scheune gegenüber befindet sich mein Atelier. Ich arbeite hart, es ist jedoch schwer, als freischaffende Künstlerin seinen Lebensunterhalt zu verdienen.“
Gerd Förster nickte: „Wohnen Sie alleine hier?“
„Nein, hier in der Künstlerkolonie leben und schaffen sechs Personen. Ich wohne hier mit meiner Freundin. Im mittleren,
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