Nachtgieger
gedrungenen Fachwerkhaus lebt ein Performance-Künstler, und im größeren Bauernhof schräg dahinter eine Wohngemeinschaft, Grit, Hanno und John. Maler und Bildhauer. Wir teilen uns die anfallenden Kosten und führen ab und zu gemeinsame Ausstellungen durch. Dazu verkaufen wir selbst hergestellte vegetarische Produkte aus ökologischem Anbau, zum Beispiel Quittengelee und Walnusscreme.“
Mandy hatte nun genug von der romantischen Beschreibung der Künstleridylle: „Sie haben das von Ihnen hergestellte Fußkettchen in der Zeitung erkannt. Können Sie sich erinnern, wer es gekauft hat und wann?“
„Es war ein Mann mittleren Alters, groß, auch kräftig, wie mir schien. Aber ich bin mir nicht sicher. Er trug einen langen Mantel. Das wunderte mich, es war bei unserer letzten Ausstellung Ende Juli. Er strahlte eine düstere Aura aus.“
Mehr konnte Melitta Morgenrot dazu nicht sagen, außer dass er fünf Fußkettchen gekauft hatte, nicht nur eines. Das sei für sie an jenem Tag ein lukratives Geschäft gewesen. Er hätte nicht versucht zu handeln, das sei ungewöhnlich gewesen.
„Diese Schmuckstücke gehen ansonsten nicht so gut. Wenn ich den Symbolcharakter der Kettchen mit den silbernen Kugeln als Kerkerketten erläutere, die die gesellschaftliche Unterjochung der Frau ausdrücken sollen, hört mir niemand mehr zu. Wo doch die türkisfarbenen Steinchen als Gegenkraft Hoffnung und Licht darstellen.“ Melitta Morgenrot schüttelte ratlos den Kopf.
„Der Mann hat fünf Kettchen gekauft, sind Sie sicher?“ Die Kommissarin blickte ihren Kollegen mit besorgtem Blick an.
„Natürlich“, erwiderte die Künstlerin, „absolut, ich habe an diesem Nachmittag hundert Euro verdient, zwanzig Euro pro Schmuckstück. Ich habe aber keine Ahnung, was dieser unheimliche Mann damit vorhatte. Er war sehr wortkarg.“
Die Kommissare tranken ihren Tee aus und bedankten sich. Als sie in ihren Dienstwagen stiegen, dämmerte es bereits. Es war kalt geworden.
„Wir machen Feierabend, Mandy“, beschloss Gerd Förster. „Das war ein langer Tag.“
„Einverstanden, ich vernehme schon den Lockruf meiner Badewanne.“
Verborgen hinter einer dichten Weißdornhecke kauerte geduckt eine finstere Gestalt. Sie umklammerte fest ein Luftgewehr mit zitternder Hand. Zu spät – der dicke Audi verschwand bereits im aufgewirbelten Staub hinter einer Kurve.
Hasserfüllte, dunkel glühende Augen starrten hinter ihm her.
Gerd Förster saß in seinem Wohnzimmer auf dem bequemen, burgunderroten Sofa und las in den ausführlichen Berichten der Kollegen aus Nürnberg und Erlangen über die Morde an Melanie Fleischmann und Linda Roßmeisl.
Die pechschwarze Katze Delilah, die der Heilkräutersammlerin Helene gehört hatte, lag, die geheimnisvollen grünen Augen fast geschlossen, zufrieden zusammengerollt auf seinem Schoß.
Der Kommissar hatte sich starken schwarzen Kaffee aufgebrüht und brütete über den polizeilichen Unterlagen. Die alte Standuhr seiner Oma zeigte bereits halb elf. Er war müde und gähnte. Sie hatten bei ihren Ermittlungen Fortschritte gemacht, aber der entscheidende Durchbruch ließ auf sich warten. Sie mussten weiterhin hartnäckig jede Spur verfolgen.
Dann schweiften seine müden Gedanken ab und er lächelte verträumt. Heute nach Feierabend, nachdem er Mandy zu Hause abgesetzt hatte, hatte er den Dienstwagen in der Tiefgarage geparkt und sich zu Fuß auf den Weg gemacht. Er verspürte das dringende Bedürfnis nach frischer Luft und Bewegung.
Seine Schritte hatten ihn automatisch zu seiner Stammkneipe unterhalb des Domes geführt, nicht weit von seiner Wohnung entfernt. Er lief über den Domplatz in der Bamberger Altstadt und bewunderte das mächtige, sakrale Bauwerk mit seinen vier Türmen, die erhaben in den sternklaren Nachthimmel aufragten. Besonders gut gefiel ihm die Gnadenpforte im Südwestturm mit ihrem Tympanon, in dessen Mitte Maria mit dem Jesuskind abgebildet war. Im Mittelschiff des Domes stand an einem Pfeiler der berühmte Bamberger Reiter, in einem der Seitenschiffe der Riemenschneideraltar mit Skulpturen aus dem frühen 16. Jahrhundert.
Er ging weiter durch eine schmale Gasse mit Kopfsteinpflaster, dann hatte er die Kneipe erreicht. Vielleicht hatte er Glück und Babett war zum Dienst eingeteilt.
Babett, eine ehrgeizige, kluge Germanistikstudentin, finanzierte ihr Studium durch verschiedene Jobs. Sie gefiel ihm außerordentlich gut. Ab und zu plauderten sie ein bisschen über dies und
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