Nachtgieger
das.
Gerade als Gerd Förster die Tür zu der Eckkneipe öffnen wollte, trat Babett schwungvoll nach draußen.
„Hast du heute schon Dienstschluss, Babett?“, fragte er und versuchte, die Enttäuschung in seiner Stimme zu verbergen.
Babett lächelte ihn erfreut an. Sie sah einfach hinreißend aus. Einige glänzend goldkäferfarbene Haarsträhnen lugten unter einer dunkelgrauen Baskenmütze hervor, die perfekt zu ihren großen, grauen Augen mit den grünen Punkten passte.
„Es ist nicht viel los. Bruno“ – das war der Wirt – „braucht mich heute nicht mehr.“
„Und was machst du jetzt mit dem angebrochenen Abend?“, wollte Gerd Förster wissen.
„Ach, ich denke, ich laufe nach Hause, bereite mich auf das morgige Seminar vor und gehe bald schlafen. Morgen früh vor der ersten Vorlesung führe ich zwei verwöhnte Pinscher, die mir nicht gehorchen, Gassi.“ Sie lachten.
Der Kommissar fasste sich ein Herz: „Darf ich dich zu einem Bier einladen? Es würde mich sehr freuen.“
Babett war einverstanden und schlug das „Schlenkerla“ vor, einen historischen Brauereiausschank, der nur ein paar Schritte entfernt zu Füßen des Doms mitten in der Altstadt lag.
Sie nahmen an einem robusten Holztisch unter der tief hängenden Decke mit den ochsenblutroten Balken Platz und bestellten ihre Getränke. Eine Spezialität dieser Wirtschaft war das Rauchbier, das nach alter Tradition vom Eichenholzfass gezapft wurde.
Entspannt tranken sie ihr Bier und unterhielten sich angeregt. Sie lachten viel. Babett erzählte ihm, dass sie eine Seminararbeit über die Novelle „Ein fliehendes Pferd“ von Martin Walser schreiben musste. Dabei sollte die Problematik der Midlife-Crisis im Mittelpunkt stehen. Beide hatten die hervorragend gespielte Verfilmung im Kino gesehen und Babett fand die erotische Energie und Dynamik, die der Schauspieler Ulrich Tukur ausstrahlte, grandios. Gerd Förster fragte sich insgeheim, wie sie wohl seine erotische Energie einstufte.
Später am Abend begleitete der Kommissar Babett bis vor ihre Haustür. Inzwischen pochte sein verletzter Knöchel. Förmlich reichte er ihr die Hand zum Abschied.
„Danke für den schönen Abend und die Einladung zum Bier, Gerd.“ Die Studentin stellte sich auf die Zehenspitzen, drückte ihm einen zarten Kuss auf die Wange und verschwand dann fröhlich winkend im Haus.
Gerd Förster versuchte, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. Babett war zu jung für ihn.
Was verband eine Bäckereiverkäuferin aus Nürnberg mit einer jungen Frau aus Erlangen, die ein Psychologiestudium abgebrochen hatte, und eine Packerin von Obst und Gemüse aus der Fränkischen Schweiz?
Er schlug eine Seite des Berichtes um, dann stutzte er, blätterte zurück und las erneut den letzten Abschnitt der vorherigen Seite. Eine Zeugin, die nahe der Pegnitz wohnte, hatte sich bei der Nürnberger Polizei gemeldet und angegeben, sie hätte einige Tage vor dem Auffinden der Leiche von Melanie Fleischmann gegen Mitternacht im fahlen Mondlicht eine Art Vogelmann am Schöpfrad beobachtet.
Freitag, 20. September
Mandy Bergmann eilte die Treppe des Mehrparteienhauses, in dem sie wohnte, hinunter und steuerte auf die Haustür zu, als die Wohnungstür im Parterre links geöffnet wurde.
„Guten Morgen, Margarete“, rief sie freundlich und wollte weiter zu ihrer Besprechung. Sie war spät dran. „Ich schaue heute Abend bei dir vorbei. Jetzt muss ich mich beeilen.“
„Nur fünf Minuten, Mandy, ich fürchte mich doch so sehr.“
Die Kommissarin seufzte und trat ein. „Fünf Minuten, Margarete, keine Sekunde länger, wir jagen einen Mörder.“
„Wir womöglich auch“, erwiderte diese düster.
Mandy hatte sich mit ihrer betagten Nachbarin angefreundet, als diese im Sommer nach einer schweren Operation bettlägerig war und sie schüchtern und verzweifelt um Hilfe gebeten hatte. Mandy hatte ihre Einkäufe erledigt und den Rasen vor dem Haus gemäht. Nachdem die Arbeiten beendet waren, hatten sie zusammen Tee getrunken und sich unterhalten. Die beiden Frauen verstanden sich großartig.
Letzten Sonntagmorgen hatte Margarete an der Tür der Kommissarin geklingelt und zitternd um ein ernstes Gespräch gebeten. Mandy wunderte sich über dieses Verhalten, weil ihre Nachbarin normalerweise eine energische, patente Person war.
„Setz dich, Margarete, und erzähle mir, was los ist.“
Die alte Nachbarin berichtete: Trotz ihres hohen Alters besaß sie einen Schrebergarten in einer
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