Nachtgieger
den glitzernden Knopf gefunden hast, war das vor oder nach dem Frühstück?“
Maxi rührte im Vanilleeis: „Vor dem Frühstück, danach hat mir meine Mama Knuspercornflakes mit Apfelstückchen gemacht. Das schmeckt mir superlecker.“
„Hat deine Mama gewusst, dass du alleine auf der Wiese spielst?“
Der kleine Junge blickte ein wenig schuldbewusst: „Ich darf alleine nicht auf die Wiese, Mama macht sich dann Sorgen. Aber ich war ja nicht alleine. Fridolin war bei mir und hat auf mich aufgepasst, so wie du jetzt.“
„Hast du an diesem Morgen Apollonia Vierheilig gesehen?“
„Meinst du Tante Apollonia?“
„Ja, genau, Tante Apollonia. “
„Ja, das war komisch.“ Konzentriert schob er sich ein blaues Smartie in den Mund.
„Was war komisch, Maxi?“
„Sie lag unter ihrem großen Kirschbaum und schlief. Ich muss immer in meinem Bett schlafen.“
Die Polizistin Silberhorn hatte für diesen Tag restlos genug von verdächtigen Blockhütten, die sich dann als die falschen herausstellten. Bei jeder durchgeführten Inspektion steigerte sich die Anspannung, die dann bei der Feststellung eines Fehlalarms verpuffte. Sie hatte es sich so sehr gewünscht, dem Kommissar ein sensationelles Ergebnis zu präsentieren, das ihre stockenden Ermittlungen vorwärtsbringen würde.
Sieglinde beschloss, jetzt sofort ihren trägen inneren Schweinehund zu überwinden und ihr straffes Laufprogramm zu starten. Zu Hause angekommen, zwängte sie sich in ihre graue Jogginghose und zog sich ein weites, grasgrünes T-Shirt mit der Aufschrift „Brave Mädchen kommen in den Himmel, böse kommen überallhin“ über den Kopf und schnürte ihre Laufschuhe.
Ihr sehnsüchtiger Blick blieb am Flachbildfernseher und dem kuscheligen Sofa hängen. Von gestern Abend lag noch eine aufgerissene Packung Kartoffelchips mit Essiggeschmack auf dem niedrigen Beistelltisch. Rasch stopfte sie sich eine Handvoll Chips in den Mund und kaute genüsslich. Die paar Kalorien würde sie sowieso schon in den nächsten Minuten abtrainieren. Ein grellgelbes, breites Stirnband komplettierte ihre sportliche Aufmachung.
Sie stellte ihren Wagen auf einem Wanderparkplatz neben dem Moritzbrunnen ab und begann nicht besonders motiviert mit den erforderlichen Dehnübungen.
Erschrocken fuhr sie herum, als sie plötzlich Stimmen hinter ihrem Rücken vernahm. Ein älteres Paar in flotter, identischer Wanderkluft mit Nordic-Walking-Stöcken winkte ihr bewundernd zu. Der Herr vermutlich wegen Sieglindes großem Busen, der bei ihren Übungen auf und ab wippte, die Dame wegen ihrer entschlossenen, sportlichen Ambitionen. Zügig schritten sie mit klackenden Stöcken an Sieglinde vorbei. „Das lobe ich mir, so eine durchtrainierte, sportive junge Frau“, rief der Mann begeistert, was ihm von seiner Begleiterin einen heftigen Knuff in die Seite einbrachte.
Sieglinde hatte vor, auf der bewaldeten Erhebung gegenüber des Walberlas auf Wanderpfaden parallel zum Bergkamm zu laufen. Anstrengende Steigungen wollte sie vorerst vermeiden. Lustlos trabte sie auf dem schmalen, von krummen Wurzeln durchzogenen Weg einige Minuten dahin, bis sie keuchend nach Atem rang. Sie drosselte ihr ohnehin geringes Tempo, ging langsam weiter und verspürte schrecklichen Durst. Die Wasserflasche stand zu Hause auf dem Küchentisch. In der Seitentasche ihrer Jogginghose steckte zum Glück ein Zehneuroschein. Sie könnte talabwärts in die Ortschaft Leutenbach laufen, dachte sie, und dort in einer der Gastwirtschaften ein kühles Radler trinken. Schweißtropfen rannen in ihr Stirnband. Erste Regentropfen fielen aus dem wolkenverhangenen Himmel. Schließlich lagen extrem anstrengende Arbeitstage hinter ihr, sie sollte sich etwas Schönes gönnen.
Gemächlich folgte sie dem Weg ins Tal und nahm die umliegende friedliche Landschaft erstmals richtig wahr. Linkerhand des sich windenden Pfades lagen terrassenförmig angelegte, idyllische Fischweiher, die mit dichtem Schilfgras umsäumt waren, unter hohen Bäumen. Sieglinde zählte fünf kleine Teiche. Diffuse Schatten spiegelten sich auf der dunklen, leicht gekräuselten Oberfläche. Am untersten Weiher befand sich einige Meter oberhalb des steilen Ufers eine Holzhütte, die verlassen wirkte. Auf der rechten Seite des Weges wiegten sich alte Föhren im aufkommenden Wind. Dornige Brombeerbüsche duckten sich zwischen den Stämmen. Sieglinde aß einige der reifen, saftigen Beeren. Ihr Durst ließ ein wenig nach. Gedankenverloren starrte sie auf
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