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Nachtgieger

Nachtgieger

Titel: Nachtgieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Maria Dries
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die abweisende Behausung, deren jägergrüne Fensterläden verschlossen waren. Aus einer steil abfallenden Regenrinne tropfte Wasser in einen blauen Behälter. Die rohen, braunen Holzlatten waren senkrecht versetzt befestigt.
    Ein Bild formte sich in ihrem Kopf. Dann erhöhte sich ihr Pulsschlag. Die Ähnlichkeit mit der Blockhütte auf dem Foto war frappierend. Mit einem mulmigen Gefühl sah sie sich um. Sie war ganz allein und auf sich gestellt. Ihre Dienstwaffe lag zu Hause in der Nachttischschublade, ihr Handy hatte sie auf der Kommode im Flur vergessen. Wie konnte sie nur so nachlässig sein! Eine engagierte Polizistin befand sich immer im Dienst. Hilfe anfordern war unmöglich. Was sollte sie tun? Sich geräuschlos und unauffällig an die Hütte heranpirschen und versuchen, sich Einlass zu verschaffen? Nach Leutenbach hinunterlaufen und Unterstützung holen? Da – hatte sich seitlich des Unterschlupfes im Gebüsch nicht etwas bewegt? Was mochte das sein? Doch nicht etwa der gnadenlos mordende Psychopath?
    Sieglinde verspürte nun eine aufkeimende, lähmende Angst. Wieder nahm sie einen flüchtigen Schatten nahe des Holzhauses wahr. Beobachtete sie der Mörder? Sollte sie das nächste Opfer sein, weil sie sein Versteck entdeckt hatte?
    Vorsichtig zog sie sich zwischen die Baumstämme zurück. Die harten Dornen der Brombeerbüsche durchdrangen den dünnen Stoff ihrer Hose und zerkratzten ihre Beine.
    Ein Geräusch ließ sie zusammenzucken. Es klang wie ein gefährliches Knurren und Schnauben. Sie blickte den Pfad hinauf, wo sie die Ursache der unheimlichen Laute vermutete, und erstarrte augenblicklich zur Salzsäule.
    Etwa fünf Meter entfernt von ihr verharrten ein mächtiger, schlammverschmierter Keiler und zwei ausgewachsene, stämmige Bachen, die sie feindselig und angriffslustig fixierten. Die gelblichen, gebogenen Zähne des männlichen Wildschweins ragten der Polizistin bedrohlich entgegen. Die tierischen Laute steigerten sich angsteinflößend, und in den lodernden Augen des Keilers konnte Sieglinde pure Mordlust erkennen. Langsam bewegte er sich auf sie zu, dann steigerte er sein Tempo. Die Bachen trabten hinter ihm her.
     
    Sieglinde lief um ihr Leben. Sie vermochte keinen Baum zu entdecken, auf den sie rasch klettern konnte, die Stämme säumten hoch und glatt den Weg. Der fünfte Fischweiher mit der unheimlichen Hütte kam immer näher. Dicht hinter sich meinte Sieglinde panisch, den Keiler voller Vorfreude grunzen und schnaufen zu hören. Gleich würde das verdammte, enthemmte Urvieh sie überwältigen und mit seinen Zähnen in Stücke reißen.
    Sie raste auf den dunklen Teich zu und erkannte verzweifelt, dass sie nur noch eine Chance hatte. Konnten Wildschweine schwimmen? Sieglinde hatte keine Ahnung. Vielleicht verspürten diese tollwütigen Biester im Augenblick einfach keine Lust auf ein kühles Bad.
    Die Polizistin hechtete unbeholfen in den trüben Fischweiher, verschwand unter der aufspritzenden Wasseroberfläche und landete mit Kopf und Händen im glitschigen, kalten Schlamm. Strampelnd befreite sie sich aus der zähen, widerlichen Masse, fand mit den Füßen wackeligen Halt auf dem schmatzenden Grund des Teiches und stellte sich keuchend auf. Luft! Ihre Lungen schmerzten, als sie tief einatmete. Das eiskalte Wasser reichte bis über ihre Brust. Benommen spähte sie um sich. Schwammen drei Wildschweine auf sie zu, um sie zu zerfleischen?
    Das aufgewühlte Wasser beruhigte sich. Still und dunkel lag es da. Am Ufer, da wo der Weg vorbeiführte, standen die Tiere regungslos und glotzten sie enttäuscht an. Dann wühlten sie mit ihren behaarten, dicken Schnauzen in der lehmig-feuchten Erde, fanden offensichtlich nichts, was ihrem Geschmack entsprach, und trotteten schließlich zwischen den Bäumen davon.
    Sieglinde schlotterte vor Kälte. Unzählige neugierige Forellen umkreisten sie, und sie hatte das Gefühl, als würden sie an ihren Joggingklamotten knabbern. Wenn sie jetzt kein Fraß für die Fische werden wollte, musste sie zusehen, dass sie aus dem Weiher kam.
    Sie stapfte auf das rettende Ufer zu. Der Schlamm saugte sich an ihren Laufschuhen fest, so dass sie nur beschwerlich vorwärtskam. Als sie den Rand des Weihers endlich erreicht hatte, bemerkte sie entsetzt, dass ihre Kräfte ermattet waren. Das Ufer war steil und rutschig. Sie versuchte verzweifelt, sich an den klebrigen Schilfpflanzen hochzuziehen, glitt jedoch immer wieder in das unbarmherzig kalte Wasser zurück.
    Die Lage

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