Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
einen klaren Gedanken fassen konnte. Er musste den Dämon zurückdrängen, sein Lied vom Blut zum Verstummen bringen, ehe er sich noch dabei ertappte, mit einzustimmen.
Blut, glänzend roter Fluss. Finde die Quelle für mich. Bring sie zum Fließen.
Auf der Straße legte Adam den Kopf in den Nacken und wartete darauf, dass sich Erleichterung einstellte. Die von der Sonne erwärmte Frühlingsluft umschmeichelte sein Gesicht. Darauf wollte er sich konzentrieren, eine schlichte, helle Empfindung. Wenn es ihr nicht gelang, den Dämon zu bannen, dann wusste er nicht weiter.
Allerdings führte die Luft, die Adam tief einatmete, etwas mit sich: weitere Fährten, die der Dämon wie Seidenfäden durch seine Hände gleiten ließ, bis er den richtigen gefunden hatte - das Opfer, das er einforderte. Er hatte es gefunden.
Meins , stellte er voller Überzeugung fest. Dann zog er an dem Faden, und die letzten Reste von Adams Widerstand zerfielen.
Adams Vorsätze waren wie fortgewischt. Noch einmal atmete er tief ein, um die Fährte richtig zu erfassen, dann fing er zu laufen an. Seine ganze Welt bestand mit einem Schlag nur noch aus dem Geruch einer Frau, die sich gerade von ihrem Liebhaber getrennt hatte. Adam glaubte, ihre erhitzte Haut auf seiner zu spüren, während das schwere Parfüm, das sie aufgetragen hatte, um die Duftspuren ihres Liebsten zu übertünchen, Übelkeit erzeugte. Dabei befand sich die junge Dame noch einige Straßen von ihm entfernt.Vor seinem inneren Auge sah er, wie sie ihren Aufzug kritisch in einem Schaufenster überprüfte und den Nichtsnutz von einem Liebhaber verfluchte, der sich nicht nur im Bett ungeschickt angestellt hatte, sondern obendrein unfähig gewesen war, ihr Korsett ordentlich zu schnüren.
Gleich würde er bei ihr sein.
Dabei kümmerte Adam nicht einmal die Frage, was er eigentlich zu tun gedachte, wenn er vor dem Ziel seiner Hatz stand. Für ihn existierte nur noch das Rauschen des Blutes in seinen Adern, das zu ihm sang. Die Jagd tilgte jeden Gedanken und jede Regung, die ihn von seinem Ziel abgebracht hätte. Als er sah, wie die Frau gerade in eine Kutsche einsteigen wollte, hielt er jedoch inne, nur zwei Schritte von ihr entfernt, die Hand schon nach ihr ausgestreckt. Eine Dame aus besserem Hause, wie ihre Aufmachung verriet.
Das rhythmische Brüllen und Pochen verstummte kurz, und er hörte sich selbst nach Luft schnappen. Was mache ich hier eigentlich?, fragte er sich.
Die Dame musterte ihn, zunächst empört über seine Aufdringlichkeit, dann mit einem plötzlichen Interesse, dessen Grund sich Adams überregten Sinnen offenbarte: Ihr gefiel, was sie sah. Ihr Mund, noch gerötet von den Erlebnissen in einem
der Hinterhäuser, verzog sich zu einem einladenden Lächeln, für das Adam sie am liebsten scharf angefahren hätte. Stattdessen wich er zurück, um …
Sie gehört mir! Ich will mein Opfer!
Die Worte waren mehr als ein Befehl - sie waren ein Gesetz, dem Adam sich beugen musste. Zumindest führte sein Körper den Befehl aus, während sein Geist von dem erneut aufbrandenden Rauschen fortgespült wurde.
Adam erwiderte das Lächeln und reichte der entzückt aussehenden Dame die Hand, um ihr beim Einsteigen behilflich zu sein. Danach stieg er ebenfalls in die Kutsche, wobei er den verlegen von einem Bein aufs andere tretenden Fahrer nur mit einem raschen Blick würdigte. Doch dieser reichte aus, um das Verhalten des Kutschers zu ändern:Während seine Miene einen verklärten Ausdruck annahm, straffte der Mann die Schultern. Dann saß er auf den Bock auf und trieb die Pferde an, darauf hoffend, dass der Herr etwas anderes wünschte als eine ziellose Rundfahrt.
Obgleich er es schon unzählige Male erlebt hatte, geriet er bei jedem ersten Mal in einem neu bezogenen Tempel stets in Verzückung. Als er die Schlagader am Hals, in Erwartung eines Kusses leicht gebeugt, aufriss, wurde er von einer unsäglichen Macht durchflutet, während sein Tempel eingeweiht wurde. Auch wenn der Lebensfluss, den er beanspruchte, nicht bis zu ihm durchdringen konnte, so nahm er ihn doch, weil es ihn so sehr verzückte. Das Blutopfer war das wunderbarste von allen, und er aalte sich darin, als wäre er tatsächlich am Leben.
Adam war ein Geschenk! Eins, das er sich im Kampf erstritten hatte.
Dabei hatte es zunächst danach ausgesehen, als würde er bei seinem Versuch, diesen Tempel in seinen Besitz zu nehmen, scheitern. Zu stark war der Widerstand gewesen, nicht etwa des Körpers,
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