Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
geöffneter Schlagader hervorquoll. Der aufreizende und zugleich besänftigte Ton klang ihm immer noch in den Ohren.
»Es ist das Blut, mein Freund, nach dem der Dämon verlangt«, bestätigte Carrière seinen Verdacht. »Menschenblut, obwohl der Dämon auch gern das dazugehörige Leben nimmt. Er wird es Ihnen jedenfalls nicht übelnehmen, wenn das Lamm stirbt, das Sie zu seinen Ehren zur Ader lassen. Er liebt es, wenn seine Diener sich im Blutrausch verlieren.« Dabei klang er, als offenbarte er ein wunderbares und gleichzeitig schreckliches Geheimnis. Obwohl die Schatten in Carrières Gesicht immer tiefer geworden waren, leuchtete hinter seinen Brillengläsern ein gieriges Funkeln auf, das überhaupt nicht zu dem eleganten Herrn passen wollte.
»Der Dämon liebt es, aus dem reichlichen Fischschwarm der Menschen die schönsten Exemplare herauszusuchen. Er sieht verborgene Begabungen, interessante Lebensgeschichten oder schlicht äußere Schönheit. Einige lässt er nur ausbluten, um seine eigene Macht zu feiern, andere will er zu seinem Eigentum machen. Oft misslingt es, selten glückt es. In Ihrem Fall ist es geglückt, Adam. Sie können darüber zürnen oder dem Dämon Lobpreisungen singen, aber es lässt sich nicht rückgängig machen. Sie haben nicht nur Ihre Vergangenheit verloren, sondern auch den Anspruch darauf, sich einen Menschen nennen zu dürfen - exakt in dem Moment, als Sie vom Kelch des Dämons getrunken haben.«
»Es soll also meine eigene Entscheidung gewesen sein, ich soll mir das freiwillig angetan haben? Niemals!«
Obwohl Adams Reaktion so lautstark ausfiel, dass sich sämtliche Gäste zu ihnen umdrehten, wich Carrière ihm nicht aus.
»Das Blut des Mannes, das Sie an sich gefunden haben - er war der Kelch. Stellen Sie sich endlich der Tatsache, alles andere ist doch sinnlos.«
Die Gewissheit, dass Carrière die Wahrheit sprach, raubte Adam fast den Verstand. Bei jeder einzelnen Bewegung bemüht, nicht die Beherrschung zu verlieren, erhob er sich.
»Ich muss hier raus.«
»Nur um sich zu bewegen? Verstehen Sie mich nicht falsch, aber Sie haben den Dämon seit Ihrer Verwandlung sehr gefordert, er wird schon bald sein Opf… seinen Augleich verlangen.« Allein die Anspielung auf das Blutopfer ließ Adam zusammenfahren, woraufhin Carrière sich auf die Unterlippen biss. Behutsam streckte er den Arm nach ihm aus, doch Adam wich zurück. »Warten Sie, wir gehen gemeinsam. Ich möchte nicht, dass Sie einen Fehler begehen, weil Sie die Beherrschung verlieren. Vermutlich hätte ich unser Gespräch anders anfangen sollen, es tut mir leid.«
Adam beachtete Carrière gar nicht mehr. Während seine Gefühle bei derVorstellung, zu welcher Art Monster er geworden war, zwischen Abscheu, Zorn und Verzweiflung schwankten, hatte sich das Wispern gesteigert, bis es einem vielstimmigen Chor glich, der in seiner Brust jubilierte. Es war die Stimme, die ihn geweckt hatte, die Stimme, die ihre Forderungen stellte und sich nach Blut sehnte. Die Stimme des Dämons.
Blut, sang der Dämon in einer Sprache, für die Adam keinen Namen kannte. Blut, Blut …
Das Lied füllte Adam aus, übertönte seine eigenen Empfindungen und Gedanken. Immer mehr glich sich der Rhythmus seines Blutes dem Takt des Liedes an. Während Adam zusehends die Kontrolle verlor, übersteigerten sich seine Sinne; Farben und Konturen gleißten vor seinem Auge in unnatürlicher Brillanz auf, das leiseste Geräusch warf ein Echo, unzählige Gerüche
strömten auf ihn ein und verwandelten sich in lockende Fährten. Als würde der erstarkte Dämon seine Sinne befeuern. Plötzlich war das Café voll mit potenziellen Opfern.
Ungläubig betrachtete Adam seine Hände, die trotz seines inneren Aufruhrs vollkommen ruhig auf der Stuhllehne lagen. »Ich suche Sie später in Ihrem Appartement auf, dann können wir dieses Gespräch fortsetzten. Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte.« Das konnte unmöglich seine Stimme sein, die so höflich und ausgeglichen klang.
»Bleiben Sie! In diesem Zustand werden Sie sich nur selbst ein Leid antun. Denn was auch immer Sie jetzt tun, es wird Teil Ihrer Vergangenheit sein. Es lässt sich nicht auslöschen«, rief Carrière ihm hinterher, hastig die Geldbörse hervorzerrend, um die Rechnung zu begleichen.
Obwohl sich ihm jedes einzelne Wort einbrannte, drehte Adam sich nicht einmal mehr um. Er wollte nur noch fort von diesem Wahnsinn, wollte, dass das Rauschen hinter seiner Stirn aufhörte und er endlich wieder
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