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Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz

Titel: Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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Rache würde er nicht zögern, sie bei der erstbesten Gelegenheit zu töten. So wie er auch diese beiden Männer in Belleville getötet hatte. Und ebenfalls in dieser Hinsicht ähnelte der junge Mann einem Raubtier: Er war kaltblütig, wenn sein Instinkt ihm zum Töten riet. Dämon und Raubtier in einer Gestalt … sehr viel beängstigender ging es nicht. Wozu Adam imstande sein würde, wenn er seine Menschlichkeit aufgab - das wollte Etienne sich lieber nicht vorstellen.

8
    Verborgene Liebe
    Die Nacht verbrachte Adam damit, auf den Schlaf zu warten, der nicht kommen wollte. Nie wieder kommen würde. Der Schlaf war eine der menschlichen Fesseln, die er abgelegt hatte. Also starrte er die Einrichtung seines Gästezimmers an, das Carrière ihm überlassen hatte, sehnsüchtig auf den Morgen wartend. Als er bei Dämmerungseinbruch die Beine über die Bettkante schwang, fühlte er sich verrückterweise so frisch wie die Kleidung, die der fürsorgliche Henri ihm bereitgelegt hatte. Sein Spiegelbild verriet ihm, dass er aussah wie nach einem Morgenspaziergang: blanke Augen, unter denen nicht ein Hauch von Schatten zu finden war. Die Haut war keineswegs aschfahl, wie er es eigentlich erwartet hatte, sondern von ersten Spuren der Märzsonne gezeichnet. Sogar einige Sommersprossen waren auf Wangen und Nasenrücken aufgetaucht.
    Adam schüttelte halb belustigt, halb entnervt den Kopf. Kein Schlaf, kein Essen - und er sah aus wie das blühende Leben. Der Dämon war wirklich ein Meister des schönen Scheins.
    Im Salon traf er Carrière an, wo dieser immer noch exakt so dasaß, wie er ihn nach ihrer Rückkehr von Rischka zurückgelassen hatte: mit übergeschlagenen Beinen in seinem Lieblingsstuhl versunken und das aufgeschlagene Buch, das er auf seinem Knie balancierte, ignorierend. Auch für Adam hatte er keinen Blick übrig, nur einen halbherzig genuschelten Morgengruß.

    Nachdenklich ließ Adam sich auf dem Schemel vor einem Klavier nieder und begann, einzelne Tasten beliebig anzuschlagen. Seitdem sie das Hausboot verlassen hatten, ähnelte Carrière einem Schlafwandler, für den ausschließlich seine Innenwelt existierte. Gewiss, der Besuch bei Rischka war äußerst aufwühlend gewesen - allerdings für ihn, während Carrière eigentlich doch nur Zaungast gewesen war. Er hatte nicht nur endgültig begriffen, dass ihn vor drei Nächten ein Dämon versklavt hatte, sondern dass er nun auch Teil einer Welt war, die mit dem Alltagsleben der Menschen wenig gemeinsam hatte. Aber warum Carrière deshalb verstört reagierte, stellte ihn vor ein Rätsel. Ihm war all das doch bestens bekannt, oder?
    »Wie sieht es aus, Carrière:Wollen Sie mich begleiten, wenn ich diese Quittung eintausche, oder ziehen Sie es vor, weiterhin Löcher in die Luft zu starren?«, fragte Adam, ohne sich vom Klavier abzuwenden. Auch wenn ihm diese Lethargie eigentlich ganz recht war, wunderte er sich. Denn dem so lebhaften Mann erschien doch sonst jede Minute, in der seine einnehmende Stimme nicht erklang, eine verschenkte Minute zu sein. Adam schlug noch ein paar weitere Tasten an.
    »Da schau an: Franz Liszt!«
    »Wie bitte?«
    Etienne hatte seinen Stuhl verlassen und kam zu ihm herüber, die Stimme zu Adams Erleichterung wieder mit Leben erfüllt. »Das Klavierstück, das Sie gerade angespielt haben. Es stammt von Franz Liszt. Ganz wunderbar.«
    »Ich habe kein Stück gespielt.«
    Adam fühlte sich seltsam ertappt und zog rasch die Hände von der Klaviatur zurück, obwohl er durchaus den Wunsch verspürte, sie weiterhin zu berühren. Allem Anschein nach war er so in Gedanken versunken gewesen, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie seine Finger von der Klimperei in das Spielen eines Stücks übergangen waren. Sofort setzte er eine ausdruckslose
Miene auf, um seine Verunsicherung zu vertuschen. Doch Carrière ließ sich in seiner Begeisterung nicht abschrecken. Er ging sogar so weit, Adam eine Hand auf die Schulter zu legen, was dieser nur widerwillig gestattete.
    »Mein Bester, Sie spielen Klavier, und zwar ausgezeichnet, sofern ich das beurteilen kann. Ich rede hier nicht nur von einer ordentlichen Ausbildung, die man den Söhnen aus gutem Hause zukommen lässt, sondern von Talent.«
    »Und wenn das Spiel bloß dem Dämon zuzuschreiben ist? Das vermute ich nämlich auch für meine Französischkenntnisse …«
    »Papperlapapp, das waren ganz eindeutig Sie.Wer sonst spielte so, als würde er sich von hinten an die Noten heranpirschen?« Carrière stieß ein

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