Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
dir tatsächlich etwas an Esther liegen würde, würdest du sie Adam nicht überlassen«, warf Rischka mit bitterem Ton ein.
»Warum nicht? Dich habe ich ihm ja schließlich auch in der letzten Nacht überlassen.« Gleichgültiger hätte Anders nicht klingen können. »Letztendlich gehört ihr alle mir.«
»Das mag für die anderen gelten, aber nicht für mich«, erklärte Adam bestimmt.
Anders sah ihn lange an, ehe er mit einer aufreizenden Gewissheit erwiderte: »Noch nicht, aber bald.«
12
Seitenwechsel
Der Morgen war grau und dunstig, als Esther, mitgenommen von einer schlaflosen Nacht, versuchte, sich die Spitze des Kajals nicht ins Auge zu stechen.
Eigentlich war sie eine Meisterin im Schminken. Schließlich war ein perfektes Make-up ein wichtiger Bestandteil ihrer Verkleidung als Frau, die von den Abgründen des Lebens unangetastet geblieben war. Die Grundlagen hatte sie von ihrer Mutter übernommen, die ihre Veilchen einfach mit einem verwegenen Lidschatten wegzuschminken gewusst hatte. Heutzutage versteckte Esther nicht nur die Spuren ihres alten Lebens, sondern malte sich sogleich das neue auf Lippen und Wangen: freundliche Farben, die das Schöne hervorhoben und das Schlechte verdeckten, wie etwa die Narbe unter ihrem Auge, die ansonsten wie ein weißer Schnitt aufleuchtete. Zwar hatte sie sich für diesen Makel eine wasserdichte Erklärung zurechtgelegt, aber es war ihr entschieden lieber, wenn niemand ihn überhaupt bemerkte.
Auch heute half ihr die »Zeremonie«, wie sie das sorgfältige Schminken und Ankleiden nannte, die Geister der Nacht zu verscheuchen, die sie unbedingt daran erinnern wollten, wer sie eigentlich war. Dabei hatte ihre Reaktion auf Adam und auf seinen Dämon ihr bestens vor Augen geführt, dass sie, wenn sie nur einen Augenblick lang nicht aufpasste, imstande war, alles zu zerstören, was sie sich so mühsam aufgebaut hatte. Wäre
sie in Wirklichkeit die Esther gewesen, die sie vorgab zu sein, hätte Adams Gegenwart nichts anderes als Widerwillen bei ihr schüren dürfen. Ihr Kartengebäude stand auf äußerst wackeligen Füßen.
Esther ärgerte sich über sich selbst. Sie wollte sich ausschließlich nach dem Hellen und Ruhigen sehnen, also nach dem genauen Gegenteil, für das Adam stand. Doch ganz gleich, wie sehr sie auch dagegen ankämpfte, dieser Teil in ihr, der sich genau nach dieser Art von Herausforderung sehnte, ließ sich nicht ausmerzen. An einem guten Tag hätte sie behauptet, das Interesse sei bloß ihrer unterdrückten Abenteuerlust geschuldet, aber an Tagen wie heute wusste sie es besser: Wer einmal von der Dunkelheit berührt worden war, zog sie stets aufs Neue an. Das war auch der wahre Grund dafür, warum Anders sie mitten auf der Straße als geeignete Dienerin erkannt hatte. Und vermutlich auch der Grund, warum Adam sie angesehen hatte, als hege er nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie ihm gehörte - während jener dunkle Teil, den sie nach Kräften zu verbergen versuchte, auf seinen Ruf geantwortet hatte. Da hatte auch ihre professionelle, geradezu abweisende Haltung wenig geholfen. Der geheimnisvolle Magnetismus zwischen ihnen brauchte weder Gesten noch Worte, um sich zu offenbaren. Adam hatte es ebenso gespürt wie sie.
Während die kühle Seide ihrer Wäsche über ihre Haut glitt, nahm Esther sich fest vor, Haydens Drängen, so schnell wie möglich zu heiraten, nun doch nachzugeben. Er war ihr einziger Anker, wenn sie von dem Sturm, der sie gestern erfasst hatte, nicht fortgerissen werden wollte. Sie durfte kein Risiko eingehen und erneut Adams Weg kreuzen. Noch einmal würde es ihr ansonsten gewiss nicht gelingen, ihn auf Abstand zu halten. Männer wie er fanden immer einen Weg, sämtliche Hindernisse zu überwinden, das machte sie ja gerade so interessant. Nur wollte sie um keinen Preis die Aufmerksamkeit eines interessanten
Mannes erringen, vor allem nicht von einem, der nicht allein Herr in seinem Haus war. Dafür war ihr gesamter Lebensentwurf zu fragil.
Allein die Erinnerung, wie er sich am Strand immer wieder das Haar zurückgestrichen hatte, weil der Wind es ihm in die Augen trieb, führte ihr vor, wie kurz sie davor gewesen war, die Fassung zu verlieren. Zuerst hatte sie es für ein dunkles Blond gehalten, aber die Sonne hatte ein goldenes Farbenspiel hineingezaubert, als wollte sie beweisen, dass dieser Mann mehr als einen zweiten Blick wert war.
Als ob es einen solchen Beweis gebraucht hätte!
Auch so war Esther in Versuchung
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