Nachthaus
schlimmer sein als der Park, weil sie der schlimmste Ort von allen ist. Lass uns doch einfach bleiben, wo wir sind.«
Sie liebte Winny so sehr, dass sie es am liebsten laut herausgeschrien hätte. So viel Liebe ließ sich kaum in Schach halten. »Ich möchte, dass du glücklich bist, Kleiner.«
»Ich bin glücklich. Bist du glücklich?«
»Ich bin mit dir glücklich«, sagte sie. Seine Füße steckten in Socken. Sie nahm seinen rechten Fuß an den Zehen und schüttelte ihn liebevoll. »Wenn du da bist, bin ich glücklich, ganz egal, wo.«
Er wandte den Blick ab, weil ihm ihre Liebeserklärung peinlich war. »Mir gefällt es hier gut. Das Haus ist cool. Es ist so anders.«
»Wenn du willst«, sagte sie, »könntest du jederzeit Kinder aus der Schule für einen Samstagnachmittag oder zu einer Pyjamaparty einladen.«
Stirnrunzelnd sagte er: »Was für Kinder?«
»Wen du willst. Deine Freunde. Einen oder zwei oder gleich eine ganze Horde, wie du willst.«
Nachdem er gezögert hatte, weil ihn der Gedanke, Kinder nach Hause einzuladen, alarmierte, sagte Winny: »Oder wir beide, du und ich, wir könnten vielleicht in den Park gehen und so, wenn es das ist, was du willst.«
Als sie von dem Hocker aufstand, sagte sie: »Du bist ein Gentleman. Ein richtiger Gentleman.« Sie beugte sich vor und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. »Um sechs Uhr gibt es Abendessen.«
»Ich bleibe bis dahin hier sitzen und lese.«
»Hast du Hausaufgaben auf?«
»Die habe ich schon im Wagen gemacht, auf der Rückfahrt von der Schule mit Mrs. Dorfman.«
Mrs. Dorfman, die Haushälterin, fungierte auch als Winnys Chauffeur.
»Das klingt nicht so, als sei es viel gewesen, für einen Schüler der Grace-Lyman-Schule.«
»Es war ein ganzer Haufen, aber es war Zeug, das total einfach für mich ist. Kein grässliches Mathe oder so was.«
Twyla hatte dem Jungen einmal erzählt, sie sei in Mathe gut gewesen, weil es eine Form von Musik war. Seitdem hatte Winny immer so getan, als fiele ihm Mathe schwer, denn er war wild entschlossen, mit allen Mitteln zu verhindern, dass man ihn drängte, Musiker zu werden.
Es blitzte, viel weniger heftig als vorher, aber statt aus dem Fenster zu schauen, wandte sich der Junge um und betrachtete den dunklen Fernseher in der Regal- und Schrankwand gegenüber seinem Bett. Seine Stirn zog sich in Falten und auf sein Gesicht trat eine wachsame Erwartungshaltung.
Als der Donner grollte, statt wie bisher zu krachen, überkam Twyla eine intuitive mütterliche Sorge. »Stimmt etwas nicht, Winny?«
Er sah ihr direkt in die Augen. »Was zum Beispiel?«
»Irgendwas.«
Nach kurzem Zögern sagte er: »Nein, es ist alles okay.«
»Bist du sicher?«
»Ja. Mir geht’s gut. Ich fühle mich gut.«
»Ich hab’ dich lieb, mein kleiner Mann.«
»Ich dich auch.« Er errötete und schlug eines der Bücher in seinem Schoß auf.
* * *
Seine Mom war prima, die Beste, wahrscheinlich ziemlich genauso, wie es ein echter Engel gewesen wäre, wenn man mal davon absah, dass sie Dinge wie »mein kleiner Mann« sagte, was ein Engel niemals täte, denn ein Engel wüsste, dass es Winny peinlich war, wenn jemand so etwas zu ihm sagte. Er war klein, das stimmte schon, aber er war kein Mann. Er war nichts weiter als ein magerer Junge, den der Wind umpusten konnte. Er wartete schon länger darauf, dass sein Bizeps größer wurde als ein Pickel, aber da tat sich nichts, obwohl er schon fast neun Jahre alt war. Wahrscheinlich würde er sein ganzes Leben lang ein dürrer Junge bleiben, bis er sich plötzlich übergangslos in einem dürren alten Knacker verwandelte.
Aber seine Mom meinte es immer gut. Sie war nie gemein oder verlogen. Und sie konnte wirklich gut zuhören. Er erzählte ihr Dinge und sie interessierte sich dafür.
Als sie ihn gefragt hatte, ob etwas nicht stimme, da hätte er ihr vielleicht doch von seinen sonderbaren Erlebnissen in der letzten Zeit erzählen sollen, selbst wenn sie es seinem Dad erzählen würde. Vielleicht würde er ihr beim Abendessen von der Stimme berichten, die auf diesem sonderbaren Kanal im Fernsehen mit ihm sprach.
* * *
Zeuge stellte sich an das Klavier in Twyla Traherns Arbeitszimmer, als sie den Raum verließ, mit dem Rücken zu ihm, ohne wahrzunehmen, dass er hinter ihr war. Er folgte der Frau zur Tür und blieb gerade lange genug auf der Schwelle stehen, um sicherzugehen, dass sie sich in die Küche begab, höchstwahrscheinlich, um für sich und ihren Sohn das Abendessen
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