Nachtklinge: Roman (German Edition)
äußerte. Vor Angst hätte er gerade um ein Haar eine gefährliche Wahrheit verraten. Tycho spürte förmlich, wie sie in der Luft vibrierte.
»Dieses Schwert …«
»Das Schwert interessiert niemanden, das da schon.«
Dr. Crow blickte auf das vergoldete Pfauenauge in seiner einen und die beiden Ersatzperlen in seiner anderen Hand.
»Was habt Ihr da?«
Zuerst schwieg der Alchemist, doch der Druck von Tychos Dolch löste ihm die Zunge.
»Prinzessin Giulietta ist vollkommen außer sich. Sie hat sich in ihrem Zimmer eingeschlossen, und der Regent dachte …«
«Was ist das?«
»Es sind Liebespillen. Die goldene ist für ihn, die silberne für Giulietta. Es sind Branntweintrüffel«, fügte er gleichsam entschuldigend hinzu, »mit echtem Blattgold und Blattsilber ummantelt.«
»Wollt Ihr damit sagen, Prinzessin Giulietta und der deutsche Prinz verfallen einander, sobald sie die Trüffel essen?«
»Davon hängt mein Leben ab.« Tycho musterte den Alchemisten. Der rundliche, kleine Mann hatte Angst. Ohne auf seinen Protest zu achten, nahm Tycho die beiden Perlen an sich und schob sie in seine Tasche.
* * *
Auf jedem Tisch standen Kerzen, und an den Wänden brannten Fackeln.
Rund tausend Menschen hatten an den reich gedeckten Tischen Platz genommen, und noch einmal halb so viele Bedienstete eilten geschäftig umher. Insgesamt fünfzig Wachposten hatten Stellung neben den Türen und Fenstern bezogen, reihten sich an den Wänden auf oder lagen oben auf dem Gerüst, das die Bauarbeiter in dem noch nicht vollständig fertiggestellten Saal zurückgelassen hatten.
Der Karneval fand nicht wie gewöhnlich auf der Piazza San Marco statt, sondern im Palast. Zwerge rissen derbe Witze und kratzten sich im Schritt. Feuerspucker ließen riesige Flammenblüten über den Gäste erstehen. Akrobaten setzten mit Purzelbäumen über ihre Köpfe hinweg, Schlangenmenschen verbogen sich auf den Tischen und sahen den Gästen zwischen ihren Beinen hindurch beim Essen zu.
Ein Dutzend nackter Kinder stand auf Sockeln an den Wänden, ihre Haut goldfarben bemalt, mit Ketten aus Federn oder Muscheln geschmückt. Einige schwankten vor Müdigkeit.
Wahrscheinlich mussten sie schon seit Stunden ausharren.
Viele der Geladenen hatten gelangweilte Mienen aufgesetzt, manche wirkten gereizt, weil sich das Bankett verspätete.
Die Uhr der Dogaressa schlug zehn. Tycho blickte sich suchend um und entdeckte Rosalie auf einem der Gerüste. Beim letzten Glockenschlag gesellte er sich zu ihr.
Sie hatte ihr Versteck gut gewählt. Das Gerüst befand sich in Küchennähe. Da hier nur die Bediensteten aus- und eingingen, war es dunkel. Hinter den Seidentüchern, die das Gerüst mehr schlecht als recht verdeckten, war sie kaum zu entdecken.
Neben Rosalie lag ein Meißel, den die Steinmetze vergessen hatten. Aus dieser Höhe hätte das Werkzeug den Jungen töten können, der gerade Wein zu dem Tisch eines Bürgerlichen trug. Besser gekleidete Diener trugen an den Tischen der Adeligen auf. Das Festmahl hatte noch nicht begonnen.
»Wo sind sie?«
Rosalie biss sich auf die Lippen.
Tycho spähte suchend umher. Im Saal befanden sich nicht nur Fredericks Feinde, sondern auch seine eigenen, die ihn als Gesetzlosen sofort töten würden. Vier der insgesamt fünfzig Wachleute waren höchstwahrscheinlich Eindringlinge.
Zwei Wachleute flankierten jeweils die Türen und starrten unbewegt vor sich hin. Offensichtlich sollten sie nur eindrucksvoll aussehen. Die zehn Männer der Zollbehörde überblickten den gesamten Saal mit Ausnahme der Tafel, an der die Ehrengäste saßen. An den hohen Fenstern, die zur
piazzetta
gingen, waren vier Männer postiert, ein günstiger Platz für einen Mordanschlag auf einen der Ehrengäste. Aber es handelte sich um einfache Wachleute, kein Wachtmeister war dabei.
An einem Fenster zur
piazzetta
in Tychos Nähe und an der gegenüberliegenden Wand hatte man drei weitere Wachleute postiert. Die Millioni waren kein Risiko eingegangen.
Wo aber steckten die vier Fremden, die sich sicher auch in den Palast geschlichen hatten?
Die Eichenbalken schieden als Versteck aus. Tycho horchte auf ein Geräusch, das nicht hier sein sollte, spähte nach einer Gestalt, die sich verbarg. Doch der Lärm und die Aufregung im Saal waren zu groß.
Nun ertönte Trompetengeschmetter, Hellebarden wurden klirrend gekreuzt.
Die große Eingangstür schwang auf, Alonzo und Frederick traten ein, gefolgt von Dogaressa Alexa. Während die Gäste sich erhoben,
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