Nachtklinge: Roman (German Edition)
geschüttelte Gestalt, die kurz darauf zu Boden sank, war beinahe noch ein Junge. Zwischen den Bäumen ertönte ein so abscheuliches Heulen, dass Tycho sich umwandte. Ein kolossaler Kriegshund jagte auf ihn zu, das Maul weit aufgerissen.
Ein mächtiger Hieb, und die
Wolfsseele
trennte ihm den Kopf ab.
Tycho brach in Triumphgeheul aus, und das Schwert sang.
Alles ringsum schien plötzlich klarer und heller.
Dafür,
dachte er,
bin ich geboren.
Die brutale Kindheit in Bjornvin, der Hunger, die Kälte und der schiere Kampf ums Überleben hatten ihn auf diesen Kampf vorbereitet.
Er tötete so instinktiv wie andere atmeten. Er glitt mit dem Daumen über die Schneide, kostete das Blut der Kriegshunde. Die
Wolfsseele
vibrierte in seiner Hand.
Ihr Ton war für menschliche Ohren nicht zu vernehmen, Tycho jedoch spürte eine Welle der Kraft in sich aufsteigen, die Kraft des rotbärtigen Riesen, der tot vor ihm auf dem Boden lag.
Ohne zu überlegen, stürmte er auf den nächsten Feind zu.
Der Kriegshund wich fauchend zurück, die gelben Fänge und sein keuchender Atem verbreiteten einen betäubenden Gestank. Tycho hob das Schwert, wie Atilo es ihn gelehrt hatte. So konnte er in jede Richtung zuschlagen. Oder den Gegner der Länge nach zerteilen. Rosalie stand hinter ihm und gab ihm Deckung.
Tychos Atem rasselte heiser.
Seine Mitstreiterin war verwundet. Je länger er die Wolfsbrüder vom nächsten Angriff abhielt, desto mehr Zeit verschaffte er Rosalie, um ihre Wunden zu heilen. Bisher war der Kampf schnell und grausam gewesen. Hätte er genügend Zeit, könnte er sich einen Gegner nach dem anderen vornehmen. Aber er hatte keine Zeit. Giulietta befand sich in Andronikos’ Gewalt.
Er musste den Anführer der Kriegshunde töten.
Tycho ließ den Blick über das Rudel gleiten. Während sie ihn umkreisten, sahen die Bestien immer wieder zu einem breitschultrigen Ungeheuer hinüber, das Tycho fixierte, ohne zum Angriff überzugehen. Die
Wolfsseele
schien ihn nervös zu machen.
Das war bestimmt Frederick. Sein Tod würde den Kampfgeist der Truppe brechen. Sollte das nicht ausreichen, würde es genügen, den nächstgrößeren Kriegshund zu töten und das Rudel führerlos zu machen. »Nimm das Schwert.«
»Tycho …«
»Ich weiß, was ich tue.«
Rosalie tastete hinter sich, bekam den Griff der
Wolfsseele
zu fassen und schwankte für einen Augenblick unter ihrem Gewicht. Dann reckte sie die Waffe in die Höhe. Das Rudel umkreiste sie, griff aber nicht an.
Misstrauisch verfolgten die Kriegshunde, wie Tycho die silberne Kugel im Mündungslauf von Alexas Waffe versenkte und sie mit dem Ladestock hineindrückte. Dann öffnete er den Deckel der Pulverpfanne.
Der Kriegshund, den er für Frederick hielt, wich zurück.
Als Tycho die Pistole hob, entfernte er sich noch weiter. Tycho beäugte die anderen Kriegshunde, versuchte zu erkennen, ob es eine Falle war. Doch das Rudel wirkte ebenso unentschlossen wie der Anführer. Ob es nun an Alexas Waffe oder der
Wolfsseele
liegen mochte.
»Erschieß ihn«, knurrte Rosalie.
Der Anführer fletschte die Zähne. Irgendwo hinter diesen brennenden Augen kämpfte eine Menschenseele gegen ein angriffsbereites Tier. Das kannte Tycho nur zu gut. Ohne die Macht der Kugel zu kennen, spürte das Tier wahrscheinlich die Gefahr.
Der aufgerichtete Kriegshund gab ein perfektes Ziel ab.
»Du hast die Wahl«, sagte Tycho. »Das hier oder das«, er deutete zuerst auf die Pistole und dann auf das Schwert. »Wovor fürchtest du dich am meisten?«
Die Bestie warf einen Blick auf das Schwert.
»Obwohl meine Pistole auf dich gerichtet ist?«
Töte den Anführer der Kriegshunde. Finde Giulietta und Andronikos und töte ihn ebenfalls. Zum Schluss erledigst du Nikolaos.
Gab es wirklich keinen schnelleren Weg, um Giulietta zu retten? Plötzlich hatte Tycho eine Idee und wunderte sich, dass sie ihm nicht schon früher gekommen war.
»Ich habe dir während des Festbanketts das Leben gerettet, erinnerst du dich? Das habe ich für Leopold getan.« Langsam klappte er den Deckel der Pulverpfanne wieder herunter und senkte die Waffe.
»Willst du Leopolds Schwert?«
Der Kriegshund Frederick nickte zögernd.
Tycho konnte sich noch genau an seine eigene Verwandlung damals auf der
San Marco
erinnern. Er wusste zwar nicht, in was er sich verwandelt hatte, aber es war etwas Böses, Brutales gewesen, älter als die Kriegshunde. Dieses Schattenwesen lauerte in seiner Seele und beobachtete ihn. Es wollte Blut, aber
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