Nachtkrieger: Unendliche Sehnsucht: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Satz zurück, aber Ari hielt sie am Ärmel fest. »Er kann nicht ausbrechen, Mylady. Kommt ruhig näher.«
    Sie wagte sich ein Stückchen näher heran und blickte in die mandelförmigen Augen eines riesigen Bären, der hinter den eisernen Stäben des Wagens gefangen war. »Ist d-das Sir Brand?«
    »Nein. Das dürft Ihr niemals verwechseln, Mylady. Er und der Bär sind nicht annähernd dieselben«, sagte Ari, als das Tier erneut zu brummen begann. »Das ist nah genug.«
    Eleanor hatte zuvor schon Bären gesehen, die Kunststücke auf einem Grasplatz machten oder für die Bärenhatz an einen Pfahl gekettet waren, aber noch nie einen so großen mit derart bedrohlichem Gehabe. Sie war sich ziemlich sicher, dass er sie mit Haut und Haaren verschlingen würde, wenn er die Gelegenheit dazu bekäme. Und als wolle er ihr beweisen, dass sie recht damit hatte, steckte der Bär eine seiner Tatzen – tellergroß und mit Krallen wie Enterhaken – durch die Gitterstäbe und schlug nach ihr.
    »Oh.« Sie spreizte die Hände und krümmte ihre Finger, um nach Augenmaß den Abstand zwischen ihren Nägeln und seinen Krallen abzuschätzen. »Gunnars Narben. Diese Krallen haben sie hinterlassen.«
    »Sie haben bei uns allen Narben hinterlassen, und das macht Brand entsetzlich zu schaffen. Er ist nicht wie Gunnar und wir anderen. Er ist als Tier ohne eine Spur seines menschlichen Wesens, seines Bewusstseins, ganz gleich, wie sehr er sich darum bemüht. Deshalb weiß er nicht, was der Bär anrichtet, bis er sich aus seiner Macht befreit. Die Angst davor, was er getan haben könnte und noch tun würde, treibt Brand jeden Morgen dazu, sich in diesem Käfig einzusperren.«
    »Das muss furchtbar schlimm für ihn sein.«
    »Wenn er es nicht täte, wäre es für uns alle viel schlimmer. Ihr müsst genügend Abstand zu dem Bären halten, Mylady.«
    »Ihr könnt sicher sein, das werde ich.« Der Bär steckte erneut eine Tatze durch die Gitterstäbe und schlug nach ihr. Sie wich zurück. »Ihr benutzt ihn doch nicht tatsächlich für eine Bärenhatz, oder?«
    »Nein, aber wenn wir unterwegs sind, ist es eine gute Tarnung. Als Bärentreiber ist man überall willkommen. Aber selbstverständlich sind wir stets nur auf der Durchreise, im Auftrag von Lord Soundso.« Ein schelmisches Funkeln in seinen Augen ließ Ari eher wie einen Jungen als einen Ritter erscheinen. »Wir haben sogar schon Westmorlands Namen angegeben, als wir durch die westlichen Grafschaften reisten.«
    »Betet, dass meinem Lord Vater nichts davon zu Ohren kommt, Sir. Er wäre alles andere als begeistert.« Sie beobachtete den Bären noch eine Weile, dann machten sie sich auf den Weg das Tal hinauf zu ihrem Lagerplatz.
    »Brand ist stark wie ein Bär und brummt wie ein Bär, wenn er verärgert ist«, sinnierte Eleanor laut. »Gunnar ist eindeutig ein Stier, was Kraft und Temperament betrifft – gelassen, bis er plötzlich die Ruhe verliert. Torvald ist edel und erfüllt von einem schwelenden Feuer wie der Hengst – und sein Haar ist so seidig wie die Mähne des Schimmels. Und ihr …«
    »Vorsicht, Mylady«, warnte Ari lachend. »Wenn Ihr mir nun sagen wollt, ich hätte einen großen Schnabel, fange ich gleich an zu weinen.«
    »Euer Schnabel ist wohlgestaltet, Sir, wie Ihr zweifellos selbst wisst. Ein geschwätziges Mundwerk wäre eher ein Merkmal Eures Raben. Das und eine gute Portion Verschmitztheit, würde ich sagen.«
    Aris Gelächter hallte von den Felsen wider. »Geschwätziges Mundwerk? Ich glaube, jetzt bin ich doch beleidigt. Aber Ihr habt es schon richtig interpretiert. Die fylgjur, die Geister, folgen uns gemäß unserer Natur, unserer Wesensart.«
    »Dann kann Sir Jafri nur ein Wolf sein, so sehnig, wie er ist, und mit seinen hungrigen, wachsamen Augen.«
    »Beim Gekreuzigten, Ihr seid schnell von Begriff.«
    »Vielleicht nicht ganz so schnell, wie Ihr denkt«, gab sie zu. »Ich habe in der Nacht, als Eure Gefährten mich retteten, draußen vor der Burg ein Heulen gehört. Da habe ich es zunächst für das eines Hundes gehalten, aber …«
    »Es gibt einen Hund unter uns, aber der ist im Moment ganz woanders. Ihr habt Jafri gehört, der den Hengst bis zur Burgruine ritt, damit Torvald, wenn er wieder Torvald war, nah genug dran war, um auf Euch aufzupassen, bis Gunnar und Brand kamen. Jafri war auch derjenige, der Euch entdeckte, mit seinen scharfen Augen.«
    Auf einmal stiegen ihr Tränen in die Augen. Diese Männer hatten sie gerettet, hatten über sie gewacht,