Nachtkrieger
sagte: »Ihr beherrscht dieses Spiel sehr gut, My Lady.«
»Ich hatte oft genug Gelegenheit, mich darin zu üben, wenn mein Großvater in eine Schlacht ziehen musste«, antwortete sie. »Doch auch wenn es unumgänglich ist, spiele ich es nach wie vor nicht gern. Sind die Damen in Geldern weniger geübt darin?«
Ari sah sie verständnislos an, doch dann sagte er: »Bei uns ziehen die Frauen Messer und Gift vor. Leider! Deshalb habe ich mich lieber davongemacht. Zu viele, die mir nicht wohlgesinnt waren.«
»Die Damen selbst oder deren Väter und Ehemänner?«
Ari zuckte mit den Schultern, aber der Schalk in seinen Augen ließ keinen Zweifel daran, dass es ihm weder um die einen noch um die anderen leidtat.
»Ihr hättet längst heiraten sollen«, sagte Alaida. »Sir Brand ebenfalls.«
»Brand war verheiratet, My Lady. Seine Frau ist vor vielen Jahren gestorben.«
»Das wusste ich nicht«, sagte Alaida und musste diese Nachricht erst einmal verarbeiten. Dann sagte sie: »Das erklärt natürlich die Traurigkeit, die ich ihm manchmal trotz seiner fröhlichen Art ansehe. Sicher hat er sie sehr geliebt.«
»Inn makti mur«,
sagte Ari. Als Alaida ihn fragend ansah, erklärte er: »Ein altes Sprichwort aus Geldern. Die ganz große Leidenschaft – die Art Liebe, wodurch jede Geschichte ein langweiliges Ende findet, sobald das Paar erst einmal verheiratet ist –, wobei Brand natürlich weder Leidenschaft noch Langeweile eingestehen würde.«
»Seine Frau konnte sich glücklich schätzen, weil sie eine solche Liebe erfahren durfte«, sagte Alaida. Sie presste die Lippen aufeinander, denn plötzlich spürte sie einen Kloß im Hals.
Sogleich kam sie sich albern vor und schluckte ihre Tränen hinunter. Eigentlich hatte sie gar nicht nah am Wasser gebaut, doch nachdem Ivo so gut zu Tom gewesen war, war ihr mehrmals zum Weinen zumute gewesen – und das aus den unsinnigsten Gründen. Dieses Mal verstand sie wenigstens, warum. Denn Brands verlorenes Glück stand in einem derart krassen Widerspruch zu ihrer eigenen Ehe, dass ihr umso deutlicher bewusst wurde, wie unglücklich sie war. Am Tag zuvor hatte sie der Anblick der Landarbeiter, die in Houton ihre Felder bestellten, zu Tränen gerührt. Und bei ihrem Aufenthalt in Chatton, als ein Sonnenstrahl auf das Kreuz in der Kapelle fiel, hatte sie an die Mutter Gottes denken müssen, die um ihren Sohn trauerte. In dem Moment hatte sie sich so unendlich traurig gefühlt, dass sie während der Messe beinahe in Tränen ausgebrochen wäre.
Um sich keine Blöße zu geben, machte sie sich an ihrem Umhang und an ihrem Gürtel zu schaffen. Sie war froh, als ihre trübselige Stimmung ebenso rasch verschwand, wie sie gekommen war. Bald hatte sie sich wieder so weit in der Gewalt, dass sie äußern konnte, was ihr durch den Kopf ging. »Da Ihr gerade von Geschichten sprecht, Sir Ari. Schuldet Ihr mir nicht noch einen Drachen?«
»Den werdet Ihr bald bekommen, My Lady.«
»Ich möchte ihn aber jetzt gleich«, sagte Alaida mit fester Stimme, denn sie wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen. »Vielleicht lenkt eine gute Geschichte mich ja von dem Nieselregen ab«.
Und von diesen lächerlichen Tränen.
»Wie Ihr wollt, My Lady.« Ari richtete den Blick nach oben, und als Alaida ebenfalls zum Himmel sah, bemerkte sie den dunklen Schatten, der mehrfach die tiefhängende Wolkendecke durchstieß und wieder dahinter verschwand.
»Sieh nur, Thomas! Mein Adler ist wieder da. Er hat uns auf dem Weg nach Chatton begleitet«, erklärte sie Ari.
»Tatsächlich?«
»Aye«, bestätigte Tom. »Er kreiste die ganze Zeit über Lady Alaida,
Messire.
« Tom streckte beide Arme aus und tat, als wolle er wie ein Vogel aus dem Sattel aufsteigen. Hadwisa, die an diesem Tag hinter ihm im Sattel saß, kreischte auf und klammerte sich an ihn. »Seht ihr die gekrümmte Schwanzfeder?«
»Sitz lieber still, Thomas!«, sagte Alaida und wandte sich dann an Ari. »Geoff sagte, es sei derselbe Adler, der Euch gefolgt ist, als Ihr die Grenzen der Domäne inspiziert habt.«
»Mag sein«, sagte Ari und sah eine Weile hinauf zum Himmel. Als er sich wieder Alaida zuwandte, hatte seine Miene sich verdüstert. »Nun denn, ein Drache«, wechselte er das Thema. »Lasst mich nachdenken. Also: Es war einmal eine Prinzessin namens Alaida …«
Ari dachte sich eine Geschichte aus und zog sie in die Länge, bis sie den Aln überquert hatten und die Glocken der Kapelle läuten hörten.
»Geoffrey lässt bereits
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