Nachtkuss - Howard, L: Nachtkuss - Burn
sollte. Trotzdem musste er noch abwarten; wenn er die Bombe zündete, solange sie noch im Hafen lagen, würde die Zahl der möglichen Überlebenden beträchtlich höher liegen. Wenn das Schiff unterging, sollten sich die wenigen überlebenden Passagiere mitten auf dem unendlichen Ozean wiederfinden, verletzt, in panischer Angst und im Schein der Flammen, bis auch die letzten Überreste des brennenden Schiffes versanken und sie in ihren schicken Abendkleidern auf erbärmlichen Trümmerstücken durch eine Nacht trieben, deren Dunkelheit ihre schlimmsten Vorstellungen übertraf.
Sie sollten alle sterben. Die Welt sollte Frank Larkin nie vergessen; es sollte sich in ihr Gedächtnis einbrennen, wie er diese dummen Schafe auf den Boden des Ozeans mitgenommen hatte.
Mit etwas Glück würden auch die Überlebenden nicht lange überleben.
24
»Wo willst du hin?« Jenner musste fast rennen, um mit Cael Schritt zu halten, der durch den langen, verlassenen Kabinengang stürmte. Er hielt sie an der Hand, was auf jeden, der ihnen unterwegs begegnete, deutlich entspannter wirken musste als sein üblicher Klammergriff. Bis jetzt hatten sie noch niemanden gesehen.
Als er begriff, dass sie kaum noch mitkam, zügelte er sein Tempo - zwar nur ein wenig, aber doch so weit, dass sie wieder mithalten konnte. »Ich muss heute Nachmittag ein paar Sachen erledigen. Du bleibst so lange bei Faith.«
»Du meinst, sie passt auf mich auf .« Wie ein Babysitter. Das gefiel ihr gar nicht.
Einerseits freute sie sich darauf, von Cael Traylor wegzukommen, andererseits kannte sie Faith nicht. Sie kannte sie in ihrer Rolle, aber wahrscheinlich hatte Faith genau wie Cael zwei Persönlichkeiten: eine öffentliche und eine private. Die öffentliche Faith war elegant, heiter, still und allem Anschein nach höchst rücksichtsvoll. Aber wie war die private Faith? Das würde sie bald erfahren.
Cael klopfte an, die Tür ging auf, und sie wurden hereingebeten. Sofort fiel Jenner auf, dass Faith nicht allein war. Tiffany saß mit übergeschlagenen Beinen auf einem blauen Sofa und durchbohrte sie sofort mit einem giftigen Blick. Beide Frauen trugen Freizeitkleidung, genau wie Jenner. Trotzdem sah man den klassisch geschnittenen Sachen und sogar Tiffanys Sommerkleid an, wie teuer sie waren.
Jenner musste daran denken, was Syd ihr über die Suite
erzählt hatte, die sie ursprünglich gebucht hatte - viel Blau und zwei Schlafkabinen -, und fragte sich unwillkürlich, ob sie mit Syd vielleicht diese Suite bezogen hätte, wenn nicht alles aus dem Ruder gelaufen wäre. Möglicherweise gab es hundert solche Suiten, doch das bezweifelte sie, denn sie war ziemlich sicher, dass Syd erzählt hatte, alle Suiten seien individuell eingerichtet.
»Zwei Stunden«, sagte Cael nur, dann ließ er Jenner mit den beiden Frauen allein, die sie anstarrten wie einen Käfer unter dem Mikroskop.
Es gefiel ihr nicht, so gemustert zu werden, und sofort stellten sich ihre Nackenhaare auf. »Was denn, habt ihr noch nie eine erpresste, bedrohte und extrem kooperative Gefangene gesehen?«
Tiffany lachte; es war ein ehrliches, leicht kehliges Lachen, das ganz anders klang als das schrille Krähen, das sie in der Öffentlichkeit ausstieß.
Faith wahrte die Fassung. »Wir tun nur unseren Job. Möchten Sie etwas trinken?«
»Nein, danke.«
»Dann nehmen Sie Platz und machen Sie es sich gemütlich.«
Bis jetzt unterschied sich die private Faith kaum von der öffentlichen. Jenner war wirklich gespannt, wie lange das anhalten würde. Sie setzte sich auf einen Sessel in der Sitzecke, der mit dem Rücken zur Wand stand. »Seid ihr immer so höflich, wenn ihr Leute entführt?«
Die beiden Frauen sahen einander stumm und in stillem Einverständnis an, bis Jenner sich wie eine Störenfriedin fühlte. Eine Störenfriedin wider Willen, aber trotzdem … diese Frauen, nein, das ganze Team stand sich sehr nahe. Sie war die Außenseiterin, aber sie war verflucht noch mal nicht gefragt worden, ob sie hier sein wollte.
Schließlich sagte Tiffany: »Das ist auch neu für uns. Kidnapping ist nicht gerade eine Standardprozedur.«
»Aber ihr seid bereit, alles zu tun, was getan werden muss, damit dieser Job erledigt wird.«
»Ja«, erwiderte Faith ruhig, aber mit Nachdruck. »Das sollten Sie nicht vergessen, bis das alles überstanden ist. Und Sie möchten wirklich keinen Tee?«
Jenner sah von einer Frau zur anderen und rief sich ins Gedächtnis, dass die beiden, genau wie Cael, Profis waren. Sie
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