Nachtkuss - Howard, L: Nachtkuss - Burn
Dean blieb etwas abseits stehen und beobachtete wie so oft die Szene mit leicht zusammengekniffenen Augen. »Das ist so lecker, das musste ich einfach mit jemandem teilen.« Er nahm ein Stück warmes, weiches Brot, bestrich es dick mit Marmelade und hielt es dem ahnungslosen Mann hin.
»Danke, Mr Larkin, aber ich bin eigentlich nicht hungrig.
« Tucker beäugte die unerwartet dargebotene Brotscheibe, als wäre sie eine Handgranate.
»Aber es ist so lecker.« Larkin schwenkte das Brot vor seinem Gesicht. Ein schimmernder Schweißfilm überzog seine graue Haut. »Probieren Sie doch.«
»Nein, ehrlich, ich …«
»Sie probieren jetzt!«, kreischte Larkin und presste die Brotscheibe in Tuckers Hand.
Tucker sah kurz seinen Boss an, und Dean nickte kaum merklich mit dem Kopf. Daraufhin ergriff Tucker das Brot und biss ab. Er kaute, schluckte, lobte gehorsam den wunderbaren Geschmack und nahm dann gleich noch einen Bissen - weil er wusste, dass sein Brötchengeber das von ihm erwartete, aber mit einer Miene, als würde er es wirklich lecker finden. Er verspeiste das Brot bis zum letzten Bissen, während Larkin ihn genau im Auge behielt, ob etwas darauf hindeutete, dass die Marmelade vergiftet war.
Tucker wirkte putzmunter und schien nicht zu ahnen, dass er vergiftet worden sein sollte. Es schien ihm tatsächlich geschmeckt zu haben. Larkin plauderte ein paar Minuten über dieses und jenes mit ihm, während er insgeheim darauf wartete, dass Tucker zu Boden sinken und zu sabbern beginnen oder sich vor Schmerzen krümmen würde. Nichts geschah. Larkin erkundigte sich nach einigen Passagieren und einigen Veranstaltungen an Bord und fragte dann, ob er von jemandem so intensiv beobachtet worden wäre, dass es Tucker aufgefallen sei, doch die Antworten schienen ihn kaum zu interessieren.
Als Larkin sich überzeugt hatte, dass Tucker nicht vergiftet worden war, befahl er unvermittelt: »Raus hier«, und setzte sich wieder an den Tisch. »Sie bleiben«, wandte er sich an Dean, und wie immer gehorchte seine persönliche Bulldogge aufs Wort.
Sobald Tucker die Tür geschlossen hatte, bestrich Larkin die nächste Brotscheibe mit Marmelade und biss ab, ohne einen weiteren Gedanken an mögliche Gifte zu verschwenden. Er wartete darauf, dass das fruchtige Aroma seine Geschmacksknospen erblühen ließ, aber er schmeckte nichts als Zucker. Die Marmelade war viel zu süß, und das Brot schmeckte widerlich nach Hefe. Er nahm noch einen Bissen, aber der Geschmack war genauso abstoßend wie beim ersten Mal.
Enttäuscht und verbittert ließ er das Brot auf den Teller fallen. Er würde sich lieber einen Ghostwater genehmigen, aber den würde er erst heute Abend trinken, denn selbst beim Trinken musste er sich einschränken. Er durfte sich keinesfalls einen Schwips antrinken, weil Betrunkene gern plapperten. Zu viele Drinks, und er könnte seine Maske fallen lassen und den Menschen in seiner Nähe, diesen dummen Arschlöchern, erklären, was er wirklich von ihnen hielt. Vielleicht würde er ihnen sogar verraten, was er geplant hatte.
Damit blieben ihm während seiner letzten Tage nicht mehr allzu viele Vergnügungen. Tiffany Marsters hatte kurz nach ihrem Streit mit Traylor mit ihm zu flirten versucht, aber sie war ihm viel zu laut und zu energisch. Selbst wenn er noch in der Lage gewesen wäre, sie zu bumsen, hätte er davor zurückgescheut, sich mit einer Frau wie ihr einzulassen. Er bevorzugte Frauen, die wussten, wer der Chef war, und dazu gehörte sie weiß Gott nicht.
»Ist alles in Ordnung, Mr Larkin?«
Larkins Kopf fuhr hoch. Er hatte ganz vergessen, dass Dean noch in der Kabine war. »Wollen Sie es haben?« Missmutig schob er ihm den Teller zu.
»Nein, Sir. Danke.«
»Es ist nicht vergiftet«, versicherte ihm Larkin.
Dean ließ sich eigentlich durch nichts aus der Ruhe bringen, aber aus irgendeinem Grund wirkte er verblüfft. »Das hoffe ich doch sehr«, sagte er. Ob er wohl auch so ruhig bleiben würde, wenn seine letzten Sekunden gekommen waren? Oder würde Dean plötzlich in Hysterie geraten?
Das einzige Vergnügen, das Larkin noch blieb, war die Vorstellung, wie alle um ihn herum sterben würden. Irgendwie war es schade, dass er nicht lang genug überleben würde, um alles genau zu beobachten. Doch er konnte sich die Szene ausmalen, und manchmal waren die Bilder so realistisch, dass er das Gefühl hatte, sie wären wahr.
An manchen Tagen tat ihm alles so weh, dass er nicht wusste, wie er die Schmerzen noch aushalten
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