Nachtkuss - Howard, L: Nachtkuss - Burn
dem Barkeeper seine Karte und sagte: »Das geht auf mich.«
»Natürlich.«
Jetzt musste sie ihn noch mal ansehen, obwohl sie das ganz und gar nicht wollte. Nachdem diese Augen sie so aus der Fassung brachten, richtete sie den Blick fest auf seine Nasenspitze. »Danke.« Das sagte sie so sachlich wie möglich.
»Ist mir ein Vergnügen.« Er streckte die Hand an ihr vorbei, um seine Karte entgegenzunehmen. In diesem Augenblick schwankte das Schiff leicht nach links, die erste spürbare Bewegung überhaupt, doch selbst dieses gemächliche Rollen war zu viel für einige Gäste, die schon reichlich intus hatten. Rechts von ihnen entstand ein kurzes Durcheinander, gefolgt von einem spitzen Aufschrei, und plötzlich hatte der Unbekannte sie zwischen seinen Armen eingeschlossen, um sie mit seinem Körper abzuschirmen. Er stieß ein leises »Uff« aus, als jemand gegen seinen Rücken prallte, und wurde kurz gegen sie gedrückt, sodass sich seine Brust an ihren Rücken und sein Kopf an ihre Schulter schmiegte.
»Verzeihung«, sagte jemand in genau dem Augenblick,
in dem der Mann ebenfalls: »Verzeihung« sagte und sich wieder aufrichtete.
»Du Schwein!« Aus der schrillen, lallenden Frauenstimme spritzten Verachtung und blinder Zorn. »Das habe ich genau gesehen! Du kannst dir nicht mal was zu trinken holen, ohne andere Frauen zu begrabschen!«
Jenner sah sich erschrocken um. Hinter ihnen stand eine gut gebaute Brünette mit exotischen Mandelaugen. Sie trug ein viel zu schickes, hautenges rotes Cocktailkleid, das eine Handbreit unter ihrem Hintern endete, und sie schwankte gefährlich auf ihren Zehn-Zentimeter-Absätzen, wobei schwer zu sagen war, ob ihr Schwanken auf das Schwanken des Schiffes oder ihren Alkoholpegel zurückzuführen war. Sie sah sie beide wutentbrannt an und brachte mit einem erbosten Kopfschwung die Kronleuchterohrringe zum Funkeln.
Jenner spürte, wie er seufzte, spürte, wie sich sein Brustkorb hob und wieder senkte. »Mach jetzt bitte keine Szene«, sagte er leise. »Komm, wir gehen an unseren Tisch zurück.«
Der Mann, der zuerst ins Straucheln geraten war, sah sich um und versuchte blinzelnd die Lage zu erfassen. Er war nüchtern genug, um sich zu entschuldigen: »Nein, das war meine Schuld …«
»Ich weiß selbst, was ich gesehen habe!«, schnitt sie ihm schrill das Wort ab und baute sich gleichzeitig vor dem Mann auf, der Jenner davon bewahrt hatte, von ihrem Barhocker gestoßen zu werden. »Ich weiß gar nicht, wieso du mich überhaupt auf dieses Schiff verschleppt hast …«
»Ich auch nicht.« Er klang unwirsch. »Aber ich bereue es jetzt schon.«
»Das lässt sich leicht beheben! Pack deine Sachen und
verschwinde, du Schwein!« Beim letzten Satz hatte sie sich in einen gellenden Zornesschrei gesteigert, und ein Schwall von Tränen löste ihr Mascara in schwarze Rinnsale auf, die über ihre Wangen liefen. Um sie herum verstummten die Gespräche, und alle Köpfe wandten sich ihnen zu, bis sich Jenner vorkam wie in einem Zug, der mit einem Höllentempo auf den Abgrund zuraste. Verzweifelt sah sie sich um, ob sie irgendwie entkommen konnte.
Er legte den Kopf schief und sah seine Begleiterin grimmig an. »Du kannst mich schlecht aus meiner eigenen Suite werfen, Tiffany, aber ich sage dir was: Du kannst sie haben, weil ich lieber in der Wäschekammer schlafe, als noch eine Minute mit dir zu verbringen.«
Tiffany!
O Gott. Die grauenvolle Erkenntnis schwappte über Jenner hinweg wie eine eisige Welle. Das war Cael.
11
Der Streit wurde mit jeder Sekunde hässlicher. Tiffanys Gesicht begann in einem ungesunden Rot zu leuchten, während sie Cael keifend mit unzusammenhängenden Beleidigungen überschüttete. Cael reagierte gar nicht. Das brauchte er auch nicht. Seine Miene sagte alles; genauso gut hätte ein lästiges Insekt vor ihm herumschwirren können. Jenner Redwine saß wie festgewachsen neben ihm auf ihrem Barhocker und verfolgte fassungslos und schockiert die Szene.
Bis Tiffanys Name gefallen war, war es ihr nur unangenehm und peinlich gewesen, in einen Streit hineingezogen zu werden, das hatte er ihr genau angesehen. Gleichzeitig wusste er dank seiner genauen Beobachtung, wann sie die Verbindung gezogen und begriffen hatte, wer er war. Sie war absolut ahnungslos gewesen. Er hatte sich entschieden, ihr nichts von den Veränderungen an ihrem Drehbuch zu sagen, weil er geglaubt hatte, dass ihre Reaktion glaubwürdiger wirkte, wenn sie von den Ereignissen überrascht wurde. Und er
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