Nachtkuss - Howard, L: Nachtkuss - Burn
dass sie ihn nicht ansehen wollte, und durchbohrte ihn mit einem Mörderblick, der völlig verschenkt war, weil er nicht in ihre Richtung sah. Er war damit beschäftigt, die Reisetasche auszuräumen und alles auf ihrem Bett auszubreiten. Sie erkannte ein Sortiment von elektronischen Apparaten, deren Zweck sie nicht einmal vermuten konnte, außerdem Drähte und Geräte und Werkzeuge, die aussahen wie …
»Ist das ein Bohrer? Wozu brauchen Sie einen Bohrer? Was wollen Sie denn bohren?«
»Löcher für die Schrauben in Ihrem Sarg«, fuhr er sie an. »Und jetzt halten Sie den Mund.«
O ja, es war wirklich eine süße Rache, ihn nervös zu machen. Geschah ihm ganz recht. Sie wartete kurz ab, bis er hochkonzentriert an seinen Geräten herumhantierte, und erklärte dann schmollend: »Ich muss pinkeln.«
Er ließ den Kopf nach unten sacken und schloss die Augen.
»Ich kann nichts dafür. Jeder muss mal pinkeln. Selbst Darth Vader musste irgendwann pinkeln, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, wie er aus seinem Anzug rausgekommen ist. Außerdem sind Sie selbst schuld, weil Sie mich gezwungen haben, diesen Teeter-Totter zu trinken, sonst müsste ich jetzt nämlich nicht.« Leider fielen ihr keine Gemeinheiten mehr ein, die sie ihm an den Kopf werfen konnte, sonst hätte sie ihm alle entgegengeschleudert, weil sie unbedingt wissen wollte - musste -, wie er unter Druck reagierte, wie weit er sich provozieren ließ.
Grimmig und ohne ein weiteres Wort nahm er einen Seitenschneider vom Bett und knipste das Plastikband durch, mit dem sie an den Stuhl gefesselt war. Erst da ging ihr auf, dass er die Fessel nicht übertrieben straff gezogen hatte, denn er kam mit dem Werkzeug leicht zwischen Haut und Plastik.
Mit ihrer frisch befreiten Hand das Eishandtuch gegen den anderen Arm drückend, ließ sie sich von ihm ins Bad führen. Sie wusste nicht, warum er es für nötig hielt, sie zu begleiten, denn es gab keinen Weg aus dem Bad außer durch den Schlafraum. Außerdem wusste sie von ihrem ersten Besuch hier drin, als sie von Faith bewacht worden war, dass es in diesem Bad nichts gab, was sich als Waffe einsetzen ließ, es sei denn, sie konnte ihn irgendwie dazu verleiten, auf ein nasses Seifenstück zu treten und sich im Sturz den Schädel anzuhauen.
»Die Tür bleibt unverschlossen«, befahl er.
Jenner überlegte, wie weit sie ihn provozieren wollte, und beschloss, dass sie vorerst weit genug gegangen war. Ein Schritt nach dem anderen. Schließlich konnte sie nicht wissen, wie er reagieren würde, wenn sie seine
Geduld überstrapazierte. Sie kannte ihn nicht und wusste nicht, wozu er fähig war. Sie wollte nicht versehentlich den falschen Knopf drücken und damit schuld daran sein, dass Syd verletzt wurde, nur weil sie ihre Grenzen ausloten wollte, um für die Zukunft gewappnet zu sein. Darum schloss sie die Tür nicht ab und pinkelte tatsächlich, schon allein für den Fall, dass er sie belauschte.
Beim Händewaschen betrachtete sie sich im Spiegel. Ein bleiches, erschöpftes Gesicht sah sie an. Gott, wie spät war es eigentlich? Sie sah auf die Uhr und stellte fest, dass sie allen Grund hatte, erschöpft zu sein. Sie war schon vor Sonnenaufgang aufgestanden, und zwar an der Ostküste, wo es, nachdem es hier elf Uhr war, inzwischen zwei Uhr früh sein musste - also vor fast vierundzwanzig Stunden.
Er öffnete die Tür. »Das war lang genug. Kommen Sie heraus.«
Sie trocknete sich die Hände ab, untersuchte die roten Flecken an ihrem Arm, die sie mit Eis gekühlt hatte, und entschied, dass sie nicht mehr behandelt werden mussten. Sie faltete das Handtuch auf und schüttete das Eis ins Waschbecken, bevor sie das Handtuch zum Trocknen über die Stange hängte. Als sie aus dem Bad kam, drehte er sich um und ging ihr voran, wobei er sich immer zwischen ihr und der Tür hielt und sie ständig die lila Schwellung an seinem Oberarm vor Augen hatte. Er brauchte das Eis eindeutig dringender als sie. Allerdings würde er sein Hemd anlassen können, solange er nicht gerade schwimmen gehen wollte.
Sie starrte auf seinen Rücken, auf das Rückgrat, das in einer tiefen Furche zwischen den mächtigen Muskeln lag, und wünschte, er würde das Hemd sofort wieder anziehen.
»Ich bin müde«, sagte sie, um sich von der geballten
Männlichkeit abzulenken. Ein einziges Mal hatte sich ihr Verstand von einer glänzenden Verpackung blenden lassen, damals vor vielen Jahren bei Dylan, als sie gerade dreiundzwanzig Jahre alt gewesen war, und
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