Nachtkuss - Howard, L: Nachtkuss - Burn
zu weinen. Sie hoffte, dass ihr die Tränen nicht anzuhören waren, weil sie Syd dadurch noch mehr verängstigen würde, und das wollte sie auf keinen Fall. »Ich musste mich nur überzeugen, dass es dir gut geht, weil ich solche Angst um dich hatte.«
»Ich bin okay, und du bist okay. Okay.« Plötzlich lachte Syd wässrig und glucksend, als müsste auch sie gegen die Tränen ankämpfen. »Das hört sich an wie aus einem billigen Psychokurs. Aber deine Idee ist gut. Von jetzt an telefonieren wir jeden Tag, oder?«
»O ja.« Sie sah Cael warnend an und stellte sich vor, dass Syd irgendwo in Kalifornien ihrem Bewacher genau den gleichen Blick zuwarf.
»Okay, das reicht.« Cael nahm ihr den Hörer aus der Hand. »Und jetzt sollten wir alle schlafen.« Er klappte das Handy zu und legte es auf den Nachttisch. Dann fasste er mit einem sehnigen Arm nach unten, hob die Decke und das Laken vom Boden auf und warf beides über das Bett. »Da«, brummte er. Brummen schien überhaupt seine liebste Verständigungsweise zu sein. Vielleicht war er in einem früheren Leben ein Bär gewesen.
Schweigend griff Jenner mit ihrer linken Hand danach,
umklammerte die beiden Decken und versuchte so viel wie möglich davon auf ihre Seite zu zerren.
Seufzend schaltete Cael das Licht aus und legte sich neben sie. Er zog die Decke ein letztes Mal über ihr gerade und stopfte sie dann fest. »So. Zufrieden?«
»Meine Füße sind noch kalt, aber so ist es besser.« Widerwillig ergänzte sie: »Danke, dass ich mit Syd reden durfte.« Seither ging es ihr deutlich besser. Das Wissen, dass Syd noch lebte und ihre plötzliche Panik völlig grundlos gewesen war, beruhigte sie so, dass sie merkte, wie ihre Muskeln erschlafften. So unter das seidige Laken und die warme Decke gekuschelt, beschloss sie, sich nicht zu beschweren, falls er sie noch einmal anatmete.
Sie war so müde. Die Wärme und die Erleichterung überrollten sie in einer schläfrigen Woge. Sie merkte, wie sie in den Schlaf abtauchte.
Kurz bevor sie wegdriftete, spürte sie, wie sich zwei große, warme Füße unter ihre kalten schoben.
15
Dass Jenner normalerweise morgens hellwach aus dem Bett sprang, war wahrscheinlich keine Veranlagung, sondern vor allem auf jahrelange Konditionierung zurückzuführen. Bis vor sieben Jahren hatte sie nie den Luxus genossen, ausschlafen zu dürfen. Schon als kleines Kind hatte sie sich selbst den Wecker stellen und Frühstück machen müssen, weil Jerry nur selten so früh wach und oft überhaupt nicht zu Hause gewesen war. Früh aufzustehen
und den Tag sofort anzupacken, hatte sich ihr so tief eingeprägt, dass sie es auch noch tat, als es längst nicht mehr nötig war. Inzwischen hatte sie morgens meist nichts Dringenderes zu tun, als sich auf den Balkon zu setzen und bei einer schönen Tasse Kaffee Zeitung zu lesen, aber das war schließlich ihr gutes Recht.
An diesem Morgen jedoch konnte sie sich nach dem Aufwachen nicht dazu bewegen aufzustehen. Stattdessen döste sie weiter und ließ sich von der Dunkelheit und dem sanften Wiegen des Schiffes einlullen. Erst nach einer Weile begriff sie, dass die Dunkelheit nichts mit der Tageszeit zu tun hatte, sondern dass sie die Decke über den Kopf gezogen hatte. Ihr war von Kopf bis zur Sohle kuschlig warm, und sie war … nicht mehr angekettet.
Wie elektrisiert schoss sie aus ihrem Deckenhaufen.
Im ersten Moment wagte sie zu hoffen, sie sei allein in ihrer Suite und hätte nur einen wilden, bösen Traum durchlebt, oder ihre Entführer hätten bereits in der ersten Nacht alle benötigten Informationen gesammelt und wären in einem U-Boot oder sonstwie geflohen. Diese Hoffnung zerstob augenblicklich, denn Cael saß vor ihrem Bett auf dem Stuhl, an den er sie am Vorabend gekettet hatte.
Er hatte einen Ohrhörer im Ohr, aber als sie mitten im Bett aufsprang, blickte er auf und verkündete trocken: »Der Vulkan bricht aus.«
Tief enttäuscht ließ sie sich wenig graziös auf das Bett zurückfallen. »Wie haben Sie die Handschellen abbekommen, ohne mich zu wecken?«
»Sie haben geschlafen wie Dracula um zwölf Uhr mittags. Ich wollte Sie schon mit kaltem Wasser übergießen, aber dann habe ich den Frieden und die Ruhe doch zu sehr genossen.«
Er hatte sich rasiert, erkannte sie; der Schatten auf seinem
Kinn war verschwunden. Das bedeutete, dass er im Bad gewesen war und sie währenddessen allein im Schlafzimmer gelassen hatte. Vielleicht um sie auf die Probe zu stellen? War es die Art von Probe, bei
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