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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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klumpig aufgetragene Farbe des Zauns.
    Ein alter Mann in dreckiger Hose und Unterhemd kam mit einem Spaten in der Hand hinter dem Haus hervor. Als er mich bemerkte, stoppte er in der Bewegung und musterte mich. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er, wuchtete den Spaten in die Erde und stützte sich auf.
    »Wohnen Sie hier?«, war der erste Satz, den ich herausbekam. Als müsse er sich erst vergewissern, drehte er sich kurz zum Haus um, bevor er nickte.
    Ich schwieg und betrachtete den Vorgarten. Hinter dem Rhododendron entdeckte ich eine Holzkiste mit Stiefmütterchen. »Stiefmütterchen«, sagte ich.
    »Ja. Ach, ich pflanze ab und an mal neue Sachen«, sagte er, »aber ich glaube, nächstes Jahr säe ich hier einfach Rasen. Das macht der Rücken auch alles nicht mehr mit.«
    Der Mann war wohl Mitte siebzig, hatte einen leichten Bauchansatz, wirkte aber insgesamt schlank. Seine Haut hing an den Oberarmen faltig herunter und seine Haare waren grau, aber voll. Die Schläfen waren nass vor Schweiß. Sich die Hände an seiner Cordhose abwischend, fragte er: »Sie kommen nicht von hier, oder?«
    »Nein. Nein, ich komme nicht von hier«, antwortete ich, »aber meine Mutter hat hier mal im Dorf gelebt, als sie noch ein Kind war.«
    »Ihre Mutter? Wie heißen Sie?«
    »Michael Schmidt.«
    »Schmidt«, wiederholte er und starrte ins Beet.
    »Ich weiß nicht viel über meine Mutter«, hörte ich mich sagen. »Wir hatten nur wenig Kontakt. Sie ist vor einer Weile gestorben, ich musste mich um den Nachlass kümmern und habe dabei Fotos und Tagebücher und solche Sachen gefunden. Jetzt schaue ich mir ein paar der Orte an, in denen sie gelebt hat.«
    »Das tut mir leid.«
    |134| »Krebs.«
    Schnaufend sah er an seinem Spaten hinunter und verzog den Mund. Die Vorhänge im unteren Stock bewegten sich.
    »Meine Mutter hat nur kurz hier gelebt«, setzte ich wieder an. »Meine Großeltern sind viel umgezogen. Aber ich glaube, sie ist mit Ihrer Tochter in einer Klasse gewesen. Ihr Name stand auf einem Klassenfoto. Ich dachte, sie könnte mir vielleicht etwas über meine Mutter erzählen, falls sie noch hier lebt.«
    In dem Moment wurde sein Gesicht zu einer hölzernen Maske. Er wandte sich ab und grub die Erde um.
    »Wohnt Ihre Tochter noch hier im Ort?«, fragte ich.
    »Meine Tochter«, antwortete er, »wird Ihnen nicht weiterhelfen können.«
    »Ich weiß so gut wie nichts über meine Mutter«, sagte ich, wobei ich ununterbrochen mit den Fingern über den Gartenzaun strich. »Ich hatte nie die Chance, sie wirklich kennenzulernen, und jetzt versuche ich, über alte Bekannte oder Schulfreunde herauszufinden, was sie für ein Mensch gewesen ist. Verstehen Sie?«
    Was ich mir von meinem Gerede erhoffte, wusste ich nicht, aber aus irgendeinem Grund konnte ich es nicht bleiben lassen. Jeder Satz war wie die vorsätzlich letzte Zigarette, wenn man mal wieder beschlossen hat, mit dem Rauchen aufzuhören. Obwohl man weiß, dass man sie gar nicht erst anstecken sollte, macht man es, raucht sie widerwillig, ohne dass sie schmeckt, und noch während man sie ausdrückt, fragt man sich, weshalb man sie überhaupt angezündet hat.
    Schon wenig später zieht es einen doch wieder zum Kiosk.
    »Verstehen Sie?«, wiederholte ich meine Frage, als der Mann nicht reagierte.
    »Ja, das verstehe ich. Aber da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen«, erwiderte er, ohne mich anzusehen, lehnte den Spaten an die Wand und widmete sich den Stiefmütterchen.
    »Wer ist das, Alois?«
    |135| Eine Frau in beiger Schürze und mit einem Geschirrtuch in der Hand war um die Ecke gekommen.
    »Er wollte gerade gehen.« Damit nahm er die Holzkiste mit den Pflanzen, stellte sie neben die Stelle, die er umgegraben hatte, und hockte sich hin.
    Die Frau sah mich an. Alles an ihr war farblos, ihre ganze Erscheinung war mit einer Patina aus Langsamkeit und Stille überzogen. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Kenne ich Sie?«, fragte sie mich.
    »Nein, wir kennen ihn nicht«, antwortete ihr Mann. »Seine Mutter hat irgendwann mal hier im Dorf gelebt und er dachte, sie wäre … wäre mit unserer Tochter zur Schule gegangen. Aber wir kennen seine Familie nicht.«
    »So«, sagte die Frau. »Mit unserer Tochter.«
    Einen Moment lang sah sie ihrem Mann dabei zu, wie er mit den Händen Löcher für die Blumen grub.
    »Wie heißen Sie denn?«, wollte sie von mir wissen.
    »Schmidt.«
    »Von Trudel? Trudel Schmidt? Die Schmidts von Trudel, Alois?«
    »Wir kennen sie

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