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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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des Jungen: »Kann ich dir ein Bier ausgeben?«
    Nachdem er auf seine Uhr gesehen hatte, nickte er, nahm seinen Sohn bei der Hand und setzte sich in Bewegung.
    »Dir auch?«, fragte ich seinen Bekannten, aber der murmelte nur im Vorbeigehen: »Arschloch.«
    »Drei Biere«, bestellte ich, und Tonia kicherte.
    »Und einen Orangensaft für den Kleinen«, rief sein Vater noch von draußen.
    Nachdem ich mich wieder zu Sara an den Tisch gesetzt hatte, fragte sie: »Wieso denn Michael?«
    »Das ist so eine Art Zweitname«, sagte ich.
    |184| »Soll ich noch vom elften September zu Ende erzählen?«
    »Nee, lass mal«, sagte ich. »Alles Arschlöcher.«
    Sara und ich haben uns nicht noch einmal verabredet, aber beim Bezahlen haben Tonia und ich die Handynummern ausgetauscht.

|185| April 2001
    Die Straßenmusiker hatten ihre Winterpause beendet und lärmten auf Schifferklavieren oder Fideln herum. Mit einem Eis in der Hand spazierten Merle und ich in der Altstadt am Wasser entlang. Die Frau von der Eisdiele hatte die Kugeln so katastrophal gestapelt, dass ich nun einen riesigen Haufen vor mir herbalancierte, und damit er nicht herunterfiel, leckte ich vorsichtig und mit schrägem Kopf daran.
    Merle beobachtete mich schmunzelnd.
    »Der Verband sieht ja schon blöd aus, aber so, wie du an dem Eis leckst, halten mich die Leute jetzt bestimmt für deine Pflegerin«, sagte sie, und ich lächelte gequält.
    Ein paar Tage zuvor war ich kurz vor Ende meiner Schicht in eine Schlägerei mit drei Russen geraten. Was als Diskussion begonnen hatte, war schnell zum Rumgebrülle geworden, und schließlich hatte einer der Russen einen meiner Kollegen umgeschubst. Als ich ihn daraufhin packen wollte, waren seine Kumpel auf uns losgegangen, hatten aber übersehen, dass im Eingangsbereich noch zwei weitere Kollegen standen. Nach einer kurzen Rangelei hatten wir die Situation unter Kontrolle. Doch dann war ich für eine Sekunde unaufmerksam, in der sich einer der Russen eine Bierpulle vom Boden schnappte und mir hart zwischen Nasenbein und Stirn hämmerte. Der Schmerz zog mir eisig durch die Knochen, bevor es kurz schwarz vor meinen Augen wurde. Ergebnis waren eine Gehirnerschütterung und ein gebrochenes Nasenbein.
    »Ich hoffe echt, dass man von dem Bruch später nichts sieht«, murmelte ich und leckte am Eis. Mokka.
    |186| »Passiert dir das eigentlich oft?«, wollte Merle wissen.
    »Schlägereien?«
    Sie nickte.
    »Beim Job halt«, sagte ich. »Meistens nur Rangeleien, oder du schnappst dir einen Kerl und schmeißt ihn aus dem Laden. Wenn man so ein paar Griffe kennt, geht das alles. Die eigentliche Kunst ist ja, die Leute loszuwerden, ohne handgreiflich zu werden und das ganze dumme Gelaber von denen auszuhalten. Da muss man halt abschalten. Zum einen Ohr rein, zum anderen raus. Darf man nicht an sich ranlassen. Die meisten verstehen auch ziemlich schnell, dass wir Hausrecht haben. Nur wenn die Leute zu besoffen oder auf Drogen sind, drehen die manchmal durch. Muss man ruhig bleiben.«
    »Und was macht das mit dir? Hast du dann Angst?«
    »Klar hat man da manchmal Angst«, sagte ich. »Aber da denkt man dabei nicht drüber nach.«
    »Und woran denkst du, wenn du merkst, dass gleich eine Schlägerei losgeht?«, fragte Merle.
    »Dass ich die Situation möglichst schnell wieder unter Kontrolle haben will, denke ich dann.«
    »Also geht’s um Kontrolle?«
    Ohne ihre Frage zu beantworten, deutete ich auf eine Bank dicht am Wasser, und wir setzten uns. Feine Tröpfchen von einer der Fontänen legten sich auf mein Gesicht, und aus einiger Entfernung hörte ich das Summen von ferngesteuerten Spielzeugbooten.
    »Ich sehe dich auch immer noch vor mir, wie du damals Baader verprügelt hast. Da war so viel Wut dabei.« Merle überlegte. »Aber auch Lust irgendwie, oder? Hat dir das Spaß gemacht?«
    »Schlecht hat es sich nicht angefühlt.«
    Merle brach ein Stück ihrer Waffel ab und warf es in Richtung einiger Enten, die sofort angepaddelt kamen. Die Sonne brach sich glitzernd auf der Wasseroberfläche.
    »Warum?«, fragte Merle. Ich beobachtete mit zusammengekniffenen |187| Augen die Enten, deren schwarze Silhouetten aus dem Wasser gehüpft kamen wie Trolle aus einem Erdloch. »Weil du da der Stärkere warst?«, hakte sie nach. »Weil du die Situation kontrollieren konntest? Machst du deswegen den Türsteherjob? Weil du da Kontrolle über Sachen hast und Ordnung in Situationen bringen kannst?«
    »Merle …«, stöhnte ich und legte den Kopf weit

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