Nachtleben
während ich mir über den Trizeps strich. Meine Stiefel zwackten. Franziska, dachte ich dann, die Neue heißt Franziska.
Sara gaffte noch immer in die Höhe, und ich nahm einen Schluck Espresso, wollte nur weg, doch mir fiel noch immer kein Vorwand ein, der nicht fadenscheinig klang. Ich wurde unruhig, rutschte auf dem Stuhl hin und her und schlug die Beine übereinander, war aber zu hastig und knallte mit dem Knie gegen die Tischkante. Reflexartig zuckte ich mit der Hand Richtung Schmerz und stieß die Kippe gegen den Tisch, sodass mir die Glut über meinen Handrücken in den Schoß trudelte. Vor Schreck schnellte ich auf dem Stuhl zurück und kippte mir dabei den Rest des Espressos übers Hemd.
»Shit«, zischte ich. Im selben Moment murmelte Sara: »Nee, Süd-Turm ist schon richtig.«
»Du! Doofes! Arsch! Loch!«
»Oh, das nervt«, knurrte ich und nahm Sara ihre Zigarette aus der Hand. Dann erhob ich mich und ging die zwei, drei Schritte zum Fenster, hockte mich davor, sodass ich mit dem Jungen auf Augenhöhe war, und nahm einen tiefen Zug. Sara sah mir hinterher.
»Jetzt pass mal auf, du hässlicher kleiner Wichser«, sagte ich und blies dem Bengel Qualm ins Gesicht. »Nur weil deine verfickten Eltern Geschwister sind und du behinderter Fotzenkopp nicht eingeprügelt bekommen hast, dass man Erwachsenen gegenüber verkackten Respekt zeigt, hält mich das nicht davon ab, deinem Schwanzlutscher von einem Vater die Drecksfresse zu polieren, wenn du nicht sofort dein Scheißmaul hältst.«
Von dem, was ich gesagt hatte, hatte der Junge wahrscheinlich genauso viel verstanden wie ich damals, als Pia mir einmal |182| ein paar Absätze Heidegger vorgelesen hatte, aber mein Ton war eindeutig gewesen.
Sein Vater starrte mich fassungslos an, aber ich nickte freundlich, wie Eltern es auf Spielplätzen machen, wenn ihre Kinder sich anfreunden.
»Was sollte das denn?«, fragte er entgeistert.
»Arschloch«, sagte ich zu ihm.
Sein Junge lachte. »Arschloch!«, rief er seinem Vater zu und streckte ihm die Zunge raus. Mit einem Mal musste ich kichern.
»Genau, alles Arschlöcher hier«, sagte ich, erhob mich und tippte dem Jungen mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. »Du auch.« Er kniff die Augen zu und lachte lauter. In dem Moment brachte die Bedienung den Whiskey, und ich winkte sie zu mir herüber.
»Hör mal auf, so mit meinem Jungen zu reden«, sagte der Mann, blieb aber unverändert am Stromkasten lehnen. Sein Kumpel stand neben ihm mit verschränkten Armen und einem Gesichtsausdruck, der mich wohl einschüchtern sollte. Ich nahm der Bedienung den Whiskey ab und hielt dem Bengel das Glas vor den Mund.
»Feuerwasser«, sagte ich. Nachdem er kurz daran gerochen hatte, nippte er, verzog das Gesicht und rutschte hustend vom Fensterbrett auf die Straße.
»Ey!«, rief sein Vater.
Ich starrte das Glas in meiner Hand an und kippte dann den restlichen Whiskey herunter.
Mit rausgestreckter Zunge röchelte und spuckte der Junge. Sein Vater nahm ihn auf den Arm und strich ihm die Haare aus dem Gesicht. Die übrigen Gäste waren längst auf uns aufmerksam geworden, schüttelten die Köpfe oder schmunzelten und beobachteten, was als Nächstes passieren würde. Irritiert friemelte Sara eine Zigarette aus ihrer Schachtel.
»Arschloch«, sagte ich zu dem Kerl mit den verschränkten Armen, und mir fiel auf, wie viel Spaß es machte, völlig grundlos |183| zu einer wildfremden Person
Arschloch
zu sagen. Ganz falsch konnte man damit nie liegen.
Neben mir stand die Bedienung, knibbelte an ihrem Ohrläppchen herum und wusste offenbar nicht, was sie tun oder sagen sollte.
»Und jetzt?«, fragte ich den Vater des Jungen, ohne mir ein Grinsen verkneifen zu können.
Schließlich sagte er unentschlossen: »Arschloch«, und als ich begriffen hatte, dass er es tatsächlich als Beschimpfung gemeint hatte, musste ich loslachen.
»Arsch! Loch!«, brüllte der Junge und strampelte sich aus den Armen seines Vaters frei. Dann fing auch der an zu kichern. Erst noch unterdrückt, aber dann sah er mich an und musste mitlachen.
»Bescheuert«, nuschelte er.
»Kann ich noch was bringen?«, fragte die Bedienung unsicher.
»Sag mal, haben wir nicht mal miteinander gevögelt?«, hörte ich mich fragen.
Sie zog den Kopf ein, schmunzelte aber und fragte, das Tablett vor ihre Brust gedrückt: »Michael heißt du, oder?«
»Und du?«, fragte ich lächelnd zurück.
»Tonia.«
»Tonia. Stimmt«, sagte ich und wandte mich wieder an den Vater
Weitere Kostenlose Bücher