Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
Jahrhunderten herrscht Krieg zwischen den Wanderern und den Mahren. Sie wollen uns vernichten, doch bisher ist es ihnen nicht gelungen, obgleich ich zugeben muss, dass sie uns sehr zugesetzt haben. Aber nun wird sich das Blatt wenden.«
Lorena hob die Hand. »Moment! Habe ich das richtig verstanden. Diese Wesen, die Sie unsterbliche Wanderer nennen, haben meine kleine Schwester Lucy entführt? Aber warum?«
»Weil sie ein Nachtmahr ist und weil sie sie mit dir verwechselt haben.«
Das musste Lorena erst einmal verdauen. »Lucy war auch ein Nachtmahr? Aber sie war doch noch viel zu klein.«
»Um sich zu wandeln? Ja, das ist richtig, dennoch gehörte sie durch ihr Erbe auch vor ihrer ersten Wandlung zu uns.«
»Und sie wurde entführt, weil sie verwechselt wurde? Die Wanderer wollten mich entführen? Warum gerade mich? Ich wusste doch gar nichts und war für niemanden eine Gefahr. Das verstehe ich nicht.«
Morla nickte. »Du warst dir damals und du bist dir heute noch immer nicht deiner Bedeutung bewusst. Wir haben einen Namen für dich, Lorena, seit dem Tag deiner Geburt. Nein, eigentlich schon seit unendlich vielen Jahren zuvor. Wir nennen dich Eclipse, das Mädchen der Finsternis. Du bist bei Neumond in der Nacht der längsten Finsternis geboren, wie es in der Prophezeiung heißt. In dir schlummern ganz besondere magische Kräfte, die uns Nachtmahre in unserem Kampf gegen die unsterblichen Wanderer stärken werden.«
Lorena sank wieder auf die Sessellehne. »Das ist ein wenig viel. Ich habe keine besonderen Kräfte, jedenfalls nicht mehr als Raika oder vermutlich jeder andere Nachtmahr. Sie müssen sich irren.«
»Nein, wir irren uns nicht. Du und Jason, ihr seid füreinander bestimmt, denn er ist ein Kind der Sommersonnwende, ebenfalls bei Neumond geboren. Ihr zusammen werdet den Bann der Nacht besiegen, dem der Mahr unterliegt.«
»Jason«, hauchte Lorena, der Raikas Worte in den Sinn kamen. »Deshalb soll ich mit ihm zusammenbleiben?«
»Ihr müsst zusammenbleiben, wenn du nicht willst, dass die Wanderer uns schon bald alle auslöschen.«
Lorena schloss die Augen. Sie musste die Worte noch einmal durch ihren Geist gleiten lassen, damit sie das auch alles richtig verstand. »Und die Wanderer dachten, Lucy sei diese Eclipse aus der Prophezeiung?«, sagte sie dann. »Deshalb haben sie sie entführt und getötet.«
»Entführt ja, nicht aber getötet. Wir haben Hinweise darauf, dass sie sie noch immer in ihrer Gewalt haben.«
»Was? Meine Schwester lebt? Warum habt ihr sie dann nicht befreit?«
»Weil es erstens nicht so leicht war, sie aufzuspüren. Das ist uns erst vor wenigen Wochen gelungen. Und zweitens können wir sie da nicht einfach herausholen. Die Wanderer sind mächtig! Sie sind schnell und kämpfen virtuos mit dem Schwert. Ich habe nicht genug Guardians, als dass wir einen offenen Kampf wagen könnten.«
»Aber wir können sie doch nicht für immer in deren Händen lassen!«, protestierte Lorena.
»Das haben wir auch nicht vor«, entgegnete die Lady plötzlich, und ihre Stimme schien den Raum erzittern zu lassen.
Morla trat wieder einen Schritt zurück, um ihrer Ladyschaft das Wort zu überlassen.
»Vielleicht ist es gut, dass du heute zu mir gekommen bist. Die Zeit des Versteckspiels ist vorbei. Wir haben sie lange genug an der Nase herumgeführt. Nun ist die Zeit gekommen, sich gegen sie zu wappnen. Bleibe hier, dann wirst du unter meiner Führung alles lernen, was du wissen und können musst, damit du uns Nachtmahre zu neuer Stärke führst. Dann können wir uns dem Kampf stellen und deine Schwester zu uns zurückholen!« Sie streckte ihre Hand aus. Der Siegelring schimmerte im Licht der Kerzenleuchter auf dem Tisch.
Lorena sank vor ihr auf die Knie und besiegelte mit einem Kuss den Bund der Nachtmahre.
Epilog
DER COUNCILLOR
Der Mann hob den Arm. Sein Falke breitete die Schwingen aus, drückte sich mit kräftigen Klauen ab und erhob sich in die Lüfte. Dann flatterte er auf die kleine Baumgruppe zu, wo er seine Beute vermutete. Rasch flog er höher und ließ sich in weiten Kreisen treiben. Plötzlich verharrte er. Er schien etwas entdeckt zu haben. Vielleicht eine der Waldtauben, die sich hier in der Nähe niedergelassen hatten. Seine Schnelligkeit, kombiniert mit dem Moment der Überraschung, machten ihn zu einem gefährlichen Jäger. Der Falke legte die Flügel an und schoss im Sturzflug herab. Doch die Taube sah ihn kommen und wich ihm in einer engen Wendung aus. Der Falke jagte
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