Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
sich los.
»Vorsicht, Audry!«
Eine der Frauen umklammerte meine Mutter und taumelte auf die Treppe zu.
Ich erwachte aus meinem Erstaunen und hetzte die Stufen hinauf.
»Lass sofort meine Mutter los!«, schrie ich und stürzte mich auf die blonde der beiden Frauen. Wir rangen miteinander, während Audry und meine Mutter am Rand der obersten Stufe hin- und herschwankten.
Ich befreite mich und versetzte Chloe einen kräftigen Stoß, dann griff ich nach dem Arm meiner Mutter. Unsere Blicke trafen sich, und ich sah die Angst in ihren schönen Augen, als sich ihre Finger um meinen Arm schlossen. Auch ich griff mit aller Kraft zu. Ich wollte nicht zulassen, dass man meiner Mutter etwas antat.
Chloe stieß einen zornigen Schrei aus. »Jetzt ist es aber genug! Wir haben Befehl, Lorena mitzunehmen, und genau das werden wir tun. Es ist nur zu ihrem Besten!«
Sie riss mich mit einer Kraft zurück, gegen die ich nichts ausrichten konnte. Ich spürte, wie mein Griff sich lockerte. Die Fingernägel meiner Mutter kratzten über meinen Arm und ließen eine blutige Spur zurück. Noch einmal bäumte sie sich auf, doch gerade in diesem Moment ließ Audry sie los.
Mit einem Aufschrei verlor meine Mutter das Gleichgewicht und stürzte die Treppe hinunter. Ich befreite mich mit einem kräftigen Flügelschlag und schoss hinterher.
Zu spät. Ich konnte sie nicht mehr auffangen. Ich konnte nur noch den sterbenden Körper in die Arme nehmen und ihn fest umklammern, bis die Seele aus ihm entwich. Ich spürte, wie die beiden Mahre Schritt für Schritt die Treppe hinunterstiegen. Sie kamen immer näher. Gleich würden sie nach mir greifen, aber ich konnte mich nicht rühren. Ich musste meine Mutter festhalten!
Draußen fuhr ein Wagen vor. Die Haustür wurde aufgestoßen. Dann hörte ich die Stimme meines Vaters.
»Seid ihr noch wach? Der verdammte Flug wurde doch noch gestrichen!« Ich spürte, wie die finsteren Schatten zurückwichen, während sich die Schritte meines Vaters näherten. Dann hielten sie inne. Und in meinem Geist wurde es dunkel.
Langsam trat Lorena noch zwei Schritte vor und deutete zitternd auf die beiden Nachtmahre. »Ihr habt meine Mutter getötet!«, sagte sie.
»Das ist wahr«, erwiderte Morla, während die Lady sich in Schweigen hüllte. »Es war ein bedauerlicher Unfall. Das war so nicht geplant. Sie hatten den Auftrag, dich zu Mylady nach Gryphon Manor zu bringen, mussten die Aktion nach diesem Unfall aber unverrichteter Dinge abbrechen. Du kamst ins Krankenhaus und standest unter der Aufsicht der Kriminalpolizei. Dein Verschwinden hätte zu großen Wirbel verursacht, und gerade das mussten wir vermeiden. Wir durften nicht die Aufmerksamkeit derer auf dich richten, vor denen wir dich so lange erfolgreich verborgen hatten!«
Lorena drehte sich langsam um. Sie spürte, wie ihr Tränen die Wangen herabrannen. Die beiden Hüterinnen nutzten die Gelegenheit, sich leise zurückzuziehen und die Tür zu schließen.
»Ich verstehe das alles nicht. Und ihr habt mich jahrelang in dem Glauben gelassen, ich hätte meine Mutter getötet!«
Wieder war es Morla, die antwortete. »Ein Übel, gegen das wir nichts tun konnten. Es war ein Unglück, das wir bedauern.«
»Ach ja? Ein Unglück? Dann habe ich vielleicht auch keine Schuld am Verschwinden meiner Schwester? Dann waren es gar nicht meine Hände, die Lucy unter Wasser drückten, bis sie elendig ertrank?«
»Ihre Leiche wurde nie gefunden. Deine Eltern haben einen leeren Sarg beerdigt«, erinnerte sie Morla, und Lorena wunderte sich nicht, dass sie davon wusste. Doch das war ihr im Moment auch egal.
»Haben die beiden Mahre auch meine Schwester auf dem Gewissen?«, schrie sie, wobei sie auf die geschlossene Tür wies.
»Nein«, sagte nun die Lady ruhig und überließ dann wieder ihrer Vertrauten das Wort.
»Das war keine deiner Nachtmahrschwestern, obgleich man ihnen auch in diesem Fall vielleicht ihr Versagen vorwerfen könnte. Sie waren in der Nähe, haben die Gefahr aber nicht kommen sehen und die Entführung nicht verhindert.«
»Wer?« Lorena keuchte. »Wer hat meine Schwester entführt?«
Morla wartete einen Augenblick, ehe sie sagte: »Wer es genau war, können wir nicht sagen, doch den Auftraggeber kannten wir wohl. Wir nennen sie die Wanderer. Die unsterblichen Wanderer. Auch sie leben unerkannt unter den Menschen. Es sind Parasiten, bösartige Wesen, die auf Kosten der Menschen leben und die man noch schwerer vernichten kann als Kakerlaken! Schon seit
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