Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
Stimmungen schwangen noch in ihr nach. Eine Atmosphäre der Furcht und der Verzweiflung.
Lorena schloss noch einmal die Augen und kniff sie fest zusammen.
»Nur ein Traum, der keine Bedeutung hat«, sagte sie bestimmt, obwohl sie wusste, dass sie sich selbst belog. »Das hat mit dir alles nichts zu tun!«
Mit einer energischen Bewegung warf sie schließlich die Wolldecke ab, stand auf und ging in die Küche. Was sollte sie mit dem Abend anfangen? Jetzt fühlte sie sich wach und ausgeschlafen und hatte keine Lust, den Rest des Sonntags allein vor dem Fernseher zu verbringen.
Also ausgehen. Nur ihre wehen Füße sprachen dagegen – und vielleicht, dass sie kein Ziel hatte und ihr niemand einfiel, mit dem sie spontan den Abend hätte verbringen können.
Gegen die wunden Füße halfen ausgetretene Turnschuhe, der Rest war nicht so leicht zu lösen. So zog sie sich einfach eine Jacke über und stapfte ziellos drauflos. Sollte sie die U-Bahn nehmen und nach Covent Garden fahren? Dort war am Abend immer etwas los. Man konnte in der fröhlichen Menge baden und sich irgendwie dazugehörig fühlen. Sie könnte ins Kino gehen oder versuchen, eine Restkarte für eine der Theateraufführungen zu ergattern.
Noch während sie darüber nachdachte, schlugen ihre Beine ihren eigenen Weg ein, und der führte nicht zum Notting Hill Gate. Sie folgten einfach der Straße immer weiter, bis sie wieder vor der Bar stand. Ihr Herz schlug höher, als die ersten Jazzklänge an ihr Ohr drangen, doch sie zögerte hineinzugehen. Bisher hatte sie den Gedanken erfolgreich verdrängt, nun aber musste sie sich fragen, wie Jason ihre Flucht vom Vorabend aufgenommen hatte. Hoffentlich war er nicht zu sauer auf sie. Sie würde es ihm erklären müssen.
Wie denn? , höhnte eine Stimme in ihrem Kopf. Die Wahrheit konnte sie ihm nicht sagen.
O ja, das würde lustig werden. Entschuldige Jason, aber ich verwandle mich jede Nacht in ein geflügeltes Monster. Mach dir nichts draus, vielleicht wirst du den Umgang mit mir unbeschadet überstehen, versprechen kann ich dir das allerdings nicht.
Lorena seufzte und machte einen Schritt zurück. Vielleicht war das alles eine dumme Idee. Sie sollte ihr Wiedersehen in schöner Erinnerung behalten und es dabei belassen. Es konnte ohnehin nichts Gutes dabei herauskommen. Was würde es ihr bringen, wenn sie ihn wiedersah? Noch mehr Lügen, noch mehr Leid, wenn sie wieder einmal nur von dem kosten konnte, was sie nicht haben durfte. Unerfüllbare Sehnsucht war schmerzhaft, und die Einsamkeit quälte sie, doch wenigstens litt sie nicht den Kummer zurückgewiesener Liebe. Noch nicht. Und dabei sollte es auch bleiben!
Sie zog sich noch zwei Schritte zurück und stieß dabei gegen einen schwarzen Hünen.
»Au!«
»Oh, Verzeihung. Ich wollte Sie nicht treten. Ich habe Sie nicht gesehen.«
Der Mann lachte. »Macht nichts.« Er trat nach vorn und hielt ihr die Tür auf.
Lorena sah ihn unschlüssig an.
»Was ist nun? Wollen Sie nicht reinkommen? Es wird sicher gleich wieder regnen. Kommen Sie auf einen Drink, ich lade Sie ein.«
Lorena gab sich einen Ruck. »Ach, Sie meinen dafür, dass ich Sie angerempelt habe und Ihnen auf die Füße getreten bin?«
Der Schwarze öffnete seine enormen Lippen und grinste. »So ungefähr.«
Jazzklänge hüllten sie ein, als sie die Bar betraten, wo ihr Begleiter gleich mit großem Hallo begrüßt wurde. Offensichtlich war er hier Stammgast. Er griff mit seiner Pranke über den Tresen und ließ seine Fingerknöchel gegen die des Barkeepers krachen.
»Hey Noah, was steht an? Das Übliche?«
»Ja Mann, und die kleine Lady hier bekommt …?« Er zog die Stirn kraus und sah Lorena an.
»Einen Caipirinha, bitte«, rief sie dem Mann hinter der Bar über die nun einsetzende Trompete zu.
Er nickte, reichte Noah eine Bierflasche und mischte Lorena ihren Cocktail.
»Cheers, und danke, Noah«, sagte sie und hob ihr Glas. »Ich heiße Lorena.«
Er prostete ihr ebenfalls zu, wurde dann aber von zwei Bekannten, die ebenfalls die Körpermaße von Rugbyspielern hatten, ins Gespräch gezogen. Lorena betrachtete die Musiker, die gerade ein neues Stück probierten. Ein zweiter Trompeter gesellte sich zu ihnen, und dann packte noch einer ein Banjo aus. Lorena erkannte keinen von ihnen, daher wandte sie sich wieder an den Barkeeper.
»Ich suche einen Ihrer Musiker, der hier gestern Saxofon spielte.«
»Jason? Ich glaube nicht, dass er heute kommt. Wir haben sonntags immer Jamsession oder auch
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