Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
Riegel vor, den sie hatte anbringen lassen, und hängte die Kette ein. Mit letzter Anstrengung legte sie den mit einem gelben Warndreieck gekennzeichneten Schalter um.
Der Kater, der ihr von der Küche her entgegenkam, sträubte das Fell, fauchte und entfloh durch das geöffnete Badezimmerfenster in die Nacht. Lorena konnte es ihm nicht verdenken. Noch im Flur riss sie sich die Kleider vom Leib und fiel mit einem Aufschrei auf die Knie. Das Reißen unter ihren Schulterblättern fühlte sich an, als würde eine Messerklinge über ihren Rücken gezogen. Sie spürte, wie sich ihr Körper veränderte. Mit einer gequälten Miene schloss Lorena die Augen, um ihre Verwandlung im Garderobenspiegel nicht mit ansehen zu müssen. Nicht, dass sie das Spiegelglas bräuchte, um zu wissen, was mit ihr vor sich ging. Sie konnte das Fließen der Formen spüren und sah vor ihrem inneren Auge, wie ihr Körper schlanker und straffer wurde, wie ihre Brüste wuchsen, bis sie sich provozierend straff zwei Nummern größer von einem geradezu traumhaften Frauenkörper emporreckten. Die Haut war nicht mehr blass, sondern schimmerte gleichmäßig in einem warmen Bronzeton, und auch ihr Haar war nun länger und fiel in goldenen Locken über ihren Rücken herab, dass die Haarspitzen die beiden Schlitze berührten, die sich unter ihren Schulterblättern gebildet hatten. Ihr Gesicht war schmaler geworden, die Augen dunkler. Sie schimmerten nun in einem intensiven Blaugrün und standen ein wenig katzenhaft schräg. Ihre Wimpern brauchte man nicht mehr mit der gesamten Kunst der Kosmetikbranche verlängern, färben und in Schwung bringen. Sie waren lang, schwarz und dicht. Und auch ihre Lippen fühlten sich voll und sinnlich an. Lorena hatte sich schon oft genug in diesem Zustand im Spiegel betrachtet, um zu wissen, dass er nun so etwas wie eine fleischgewordene Männerfantasie zurückwarf, vielleicht bis auf die eingefalteten Flügel auf ihrem Rücken, die entlarvten, was sie wirklich war: ein Wesen, das es nicht geben konnte und nicht geben durfte, eine aus einem Albtraum entstiegene Missgeburt, die Tod und Verderben brachte!
Ihr war schlecht. Mühsam rappelte sie sich auf.
Nein, sie erhob sich wie eine Königin! Und sie fühlte sich prächtig. Lorena schlug die Augen auf. Wie magisch zog der Spiegel ihren Blick an. Da stand sie nackt im schummrigen Licht einer Straßenlaterne, das durch das Küchenfenster hereinfiel, und betrachtete das herrlich schöne Wesen, das nicht sie selbst war. Oder doch?
Nein!
Es zerriss sie beinahe. Es war, als würden zwei Mächte an ihrer Seele zerren. Lorena stöhnte, doch dann sah sie ihr Spiegelbild mit diesem verführerischen Lächeln an, dem kein Sterblicher widerstehen konnte.
Jason, hallte es in ihrem Kopf. Sein Bild stieg vor ihr auf. O ja, was für ein appetitliches Stück Mann. Es könnte sich lohnen, ihn heute Nacht zu genießen. Es würde sie nur einen einzigen Blick kosten, dann würde er dahinschmelzen und ihr zu Füßen liegen. Er wäre ihr Sklave, bereit, alles für sie zu tun.
»Nein!«, schrie sie laut und ballte die Hände zu Fäusten.
Warum nicht? Hast du ihn nicht schon damals in der Schule begehrt? Hast du nicht von seinen Küssen geträumt?
»Nein!«
O doch! Du musst deine Sehnsüchte nicht verbergen. Er steht dir zu. Nimm dir, was dir gehört! Es wird wunderbar werden. Seine Küsse, seine Hände auf deiner Haut, sein wundervoller Körper, den du den ganzen Abend schon angestarrt, den du nackt vor dir gesehen hast.
»Hab ich nicht!«
Ein Kichern ertönte in ihrem Kopf. Ohne dass sie es wollte, wandte sie sich der Tür zu und legte ihre Finger um den Knauf.
»Aua!«
Mit einem Schmerzensschrei zog sie die Hand zurück, als der Stromschlag durch ihren Körper zuckte.
Nein, sie würde nicht hinausgehen, und sie würde sich weder Jason noch einen anderen Mann holen, auch wenn sie sich noch so sehr nach Zärtlichkeit und Wärme sehnte.
Zärtlichkeit? Pah, Sex! Wilder, zügelloser Sex!
Sie schlug mit der Faust gegen die Wand. Putz rieselte herab, und einem Spinnennetz gleich breiteten sich feine Risse aus.
Verdammt!
Lorena biss sich auf die Unterlippe, bis sie spürte, wie einige Blutstropfen hervortraten. Sie spürte, wie sie langsam ruhiger wurde. Gut so. Es war alles eine Frage der Beherrschung.
Selbstdisziplin! Hatte sie sich das nicht über Jahre hin antrainiert?
Ihr Wille war stärker als die ungezügelte Wildheit, die sich in ihrem Körper ausbreitete und ihr diese fremde
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