Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
Krankheit ist deine fehlende Selbstbeherrschung.
So saß sie am Küchentisch, kasteite sich selbst in Gedanken und sah dem Kater bei seinem Frühstück zu. Dann rief sie bei Dr. Cowen an und bat um einen Termin. Die Sprechstundenhilfe bestellte sie auf elf Uhr. Lorena dankte und gab dann der Sekretärin ihres Vorgesetzten Bescheid. Auch sie wünschte gute Besserung und versprach, ihre Krankmeldung weiterzuleiten.
Lorena fühlte sich schauderhaft, dennoch war sie auch erleichtert, heute keine Kunden anrufen und keine Anlagevorschläge unterbreiten zu müssen. Ihre Gedanken schlugen Kapriolen. Immer wieder zuckten die Szenen der Nacht durch ihren Geist, und sie fragte sich entsetzt, wie sie das hatte zulassen können.
Weil es aufregend war!, meldete sich die tiefe erotische Stimme in ihr, die sich so gern gegen ihre Vernunft auflehnte. Weil du hier langsam, aber sicher versauerst. Wann hattest du zum letzten Mal solch wundervollen, aufregenden Sex? Während des Studiums? Ist das nicht schon ein wenig zu lange her? Gib zu, dass Noah ein prächtiger Liebhaber war!
Das wollte sie gar nicht abstreiten. Doch er hatte nicht sie begehrt, nicht Lorena, nur das Wesen der Nacht, das ihm gar keine andere Wahl gelassen hatte.
Na und? Hauptsache, der Sex war gut.
Nein, das war nicht die Hauptsache! Das sollte die Folge der Liebe sein, die zwei Menschen füreinander empfanden.
Die Antwort war nur ein Schnauben. Lorena gab es auf, mit sich selbst zu diskutieren. Das führte zu nichts. Sie nahm sich fest vor, so etwas nie wieder zuzulassen, und machte sich dann zur Praxis ihres Arztes auf.
Er fand sie zu blass und vermutete eine tiefe Erschöpfung. Insoweit hatte er sogar recht. Nur dass er diesen Zustand auf ihre Arbeit zurückführte, traf die Sache ganz sicher nicht. Immerhin schrieb er sie drei Tage krank, und Lorena konnte mit einem Gefühl der Erleichterung in ihr Bett zurückkehren, wo sie sofort in tiefen Schlaf fiel.
Etwas drückte auf ihren Magen. Lorena riss die Augen auf und starrte direkt in die grünen Augen ihres Katers.
»Finley, wie kannst du mich so erschrecken?« Sie stöhnte und schob ihn vom Bett. »Wie spät ist es eigentlich?«
Sein Maunzen klang vorwurfsvoll, und als sie zur Uhr sah, wusste sie, warum. Sie hatte den ganzen Tag verschlafen.
»Du hast ja recht«, beschwichtigte sie ihn und kraulte seine Ohren. Dann ging sie in die Küche, um zu sehen, was der Kühlschrank noch hergab. Gemeinsam aßen sie, während es draußen bereits wieder dunkel wurde. Lorena kaute bewusst auf jedem Bissen Brot und jedem Salatblatt herum, um sich die Unruhe nicht eingestehen zu müssen, die zunehmend von ihr Besitz ergriff. Um neun hielt sie es nicht mehr aus. Sie sprang auf und zog sich um.
»Weißt du, ich habe jetzt so lange geschlafen, da muss ich einfach noch ein wenig frische Luft schnappen, ehe ich mich wieder ins Bett lege«, sagte sie zu Finley, obwohl sie wusste, dass sie den Kater und sich selbst belog. »Ich mach nur einen kleinen Spaziergang«, fügte sie noch hinzu und eilte dann die Treppe hinunter.
Nein, es war nicht nur ein Spaziergang, vor allem keiner, der dem Zufall die Richtung überließ. Ihre Schritte führten sie direkt zu der Jazzbar am anderen Ende der Straße. Erst als der Eingang in Sicht kam und sie die Menschentraube davor sehen konnte, blieb sie stehen. Die Tür öffnete sich, und einige Leute verschwanden in der Bar. Zwei junge Frauen standen ein wenig abseits, schwatzten und rauchten. Doch ihr Blick heftete sich auf den großen Schwarzen, der neben der Tür an der Wand lehnte und irgendwo in die Ferne zu sehen schien. Lorena ahnte, wohin ihn seine Gedanken gerade entführten. Sie schluckte trocken, als auch in ihr das warme Gefühl von Verlangen aufstieg.
Nein! Dieser Mann war ihr völlig gleichgültig. Sie war in Jason verliebt. Und außerdem wartete er nicht auf Lorena. Er wartete auf den Nachtmahr.
Sie zwang sich, ihren Blick abzuwenden, und ging mit langen Schritten davon. Eine halbe Stunde später stand sie jedoch erneut an der Ecke und sah zu der Jazzbar hinüber. Nicht nur die Musik, die bis auf die Straße klang, zog sie wie magisch an. Vielleicht ist Jason ja doch da , dachte sie wider jede Vernunft, und schon setzten sich ihre Beine in Bewegung. Die mahnende Stimme in ihr, die sie daran erinnerte, dass sie krankgeschrieben war und überhaupt nicht in eine Bar gehen durfte, ignorierte sie. Zitternd vor freudiger Erwartung, strebte sie auf die Tür zu, als diese vor ihr
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