Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
Gefühlsregungen. Was war das? Bewunderung, ja, aber auch Scham und Ablehnung?
»Guten Abend, Jason«, sagte sie mit rauchiger Stimme und sah ihn so intensiv an, dass er erneut zuckte.
Sie weiß seinen Namen? Lorena wurde es heiß und kalt. Jason kannte diese unglaubliche Frau?
»Guten Abend, Raika«, presste er hervor. »Ich hätte nicht gedacht, dich hier zu treffen.«
Sie lachte spöttisch und musterte dann Lorena mit einem unergründlichen Blick, den diese nicht zu deuten wusste.
»Das ist Lorena«, stellte Jason vor.
Raika hob ein wenig die Augenbrauen, wandte sich dann aber wieder Jason zu. »Wollen wir tanzen? Ich liebe Salsa, und wie ich gesehen habe, bist du ein guter Tänzer.« Sie schenkte Lorena wieder dieses spöttische Lächeln, in dem vielleicht auch ein wenig Mitleid schwang.
»Du erlaubst doch?«
»Ich bin heute Abend mit Lorena hier«, wehrte sich Jason tapfer.
Lorena war ihm dankbar. Sie hätte der anderen lieber ihre Nägel ins Gesicht geschlagen, als ihr einen Tanz mit Jason zu gönnen, doch sie spürte, dass ihre Zeit ablief. Noch drei Minuten! Was konnte sie anderes tun, als sich zu einem Lächeln zu zwingen und Jason in ihre roten Krallen zu geben?
»Ist schon gut. Tanz du ruhig mit Raika! Ich wollte mich sowieso gerade ein wenig frisch machen.« Lorena glaubte, an ihren Worten ersticken zu müssen, doch sie rutschte von ihrem Hocker und eilte hinaus. Sie sah in ihrem Geist, wie Raika ihre Beute mit triumphierendem Lächeln auf die Tanzfläche führte.
So schmerzhaft war die Wandlung schon lange nicht mehr verlaufen. Vermutlich waren die aufgepeitschten Gefühle daran schuld. Lorena kniete auf dem Boden und keuchte. Was hätte sie in dieser Nacht gegeben, die Wandlung nur einmal unterdrücken zu können und stattdessen bei Jason zu bleiben und ihn von dieser Frau fernzuhalten. Sie war gefährlich, das konnte Lorena spüren: Nein, es war nicht nur der Neid auf deren Schönheit und die Angst vor ihrer sichtbaren Macht, die sie über Männer ausübte. Sicherlich muss sie nur mit den Fingern schnippen und kann jeden von ihnen haben , dachte Lorena frustriert. Heißer Zorn stieg in ihr auf. Konnte sie denn gar nichts tun? Musste sie hier draußen im Verborgenen warten, während ihr diese Raika Jason einfach so wegnahm?
Mit großen Schritten ging sie auf und ab. Plötzlich hielt sie inne und betrachtete ihr Spiegelbild in einer Autoscheibe.
Nein, das musste sie ganz und gar nicht! Sie konnte jetzt da hineingehen, und dann würden sie ja sehen, ob Jason noch einen Blick für diese Raika übrig haben würde.
Nein, das ging nicht. Außerdem wollte sie nicht, dass Jason sie so sah.
Würde er ja gar nicht. Er konnte sie in dieser Gestalt nicht erkennen.
Nein? Hatte sie sich denn so sehr verwandelt? War sie in ihrem Innern nicht noch immer Lorena, selbst wenn ihr Äußeres perfekter geformt war?
Nein, er würde es nicht sehen.
Und das Kleid?
Das war vielleicht ein Problem. Aber Moment, sie könnte sich umziehen. Daheim lag noch das bronzefarbene, das ihr am frühen Abend zu auffallend und sexy gewesen war. Jetzt erschien es ihr gerade richtig.
Ohne weiter darüber nachzudenken, entfaltete sie ihre Schwingen und erhob sich in die Luft. Sie flog wie ein Pfeil durch die Nacht und erreichte Notting Hill bereits nach wenigen Minuten. Auch das Umziehen war schnell erledigt. Ihr anderes Kleid stopfte sie in die Tasche, dann machte sie sich eilig auf den Rückweg. Jede Minute, die sie Jason den Krallen dieser Raika überlassen musste, war eine Minute zu viel!
Es war nicht viel mehr als eine Viertelstunde vergangen, als Lorena in ihrem neuen Kleid im Hof der Latina Bar landete. Sie schlüpfte durch die Hintertür und musste nicht lange suchen. Ihr Blick wurde, wie der so vieler anderer, von dem Paar angesogen, das sich mitten auf der Tanzfläche wiegte. Die anderen hielten ein wenig Abstand, sodass sie einen magischen Kreis um die beiden bildeten. Lorena unterdrückte einen Seufzer, als sie sah, wie Raika Jason in ihrem Bann hielt, dennoch hatte sie den Eindruck, er wirke eher angespannt als glücklich. Egal wie, jedenfalls war Raikas Zeit abgelaufen! Mit forschen Schritten bahnte sich der Nachtmahr seinen Weg. Lorena war sich ihrer Wirkung wohl bewusst und genoss die Blicke, die sie jetzt auf sich zog. Trotz der lauten Musik vernahm sie das Raunen, das durch den Raum waberte. Auch Raika spürte, dass sich die Atmosphäre veränderte, und wandte den Kopf. Lorena glaubte erst Überraschung,
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