Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
dir.«
Sie wusste zwar nicht, ob er es ganz ernst meinte oder noch immer ein schlechtes Gewissen wegen der anderen hatte, dennoch freute sie sich über das Kompliment. Sie tranken zusammen noch ein Cola. Das Angebot für einen weiteren Cocktail lehnte Lorena ab. Dann machten sie sich Arm in Arm auf den Heimweg.
Als Jason sie zu seinem Auto zurückführte, hatte sie wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. Lorena verrenkte sich den Hals, doch die Schatten huschten davon, ehe sie ihnen eine Form geben konnte. War etwa Raika noch hier draußen und wartete auf Jason? Hatte sie nur scheinbar so widerstandslos das Feld geräumt und hoffte nun auf eine neue Chance? Zutrauen würde sie es ihr. Raika schien ihr ganz die Frau, die sich von Konkurrenz eher angestachelt als abgeschreckt fühlte.
Da hast du Pech, dachte Lorena mit grimmiger Genugtuung. Jason gehört mir, und ich werde nicht zulassen, dass du noch einmal deine Krallen nach ihm ausstreckst!
Wie sie das bewerkstelligen sollte, wusste sie allerdings nicht. Sie ging einfach davon aus, dass diese Begegnung ein Zufall gewesen war, zu dem es keine Fortsetzung geben würde. Warum auch? Raika hatte sicher genügend Auswahl.
Die leise Stimme, die sie fragte, woher sie und Jason sich kannten und was zwischen ihnen gelaufen war, unterdrückte sie. Vielleicht war es besser für ihren Seelenfrieden, die Antwort nicht zu kennen.
»Kannst du nicht ein paar Tage Urlaub nehmen?«
Mit diesen Worten überrumpelte Jason Lorena einige Tage später.
»Es ist eine einmalige Gelegenheit. Wir reisen drei Wochen durch Europa und spielen mit einigen der besten Orchester zusammen. Wir haben es geschafft, für unsere Freunde und Familienangehörige, die uns begleiten wollen, noch ein paar Karten zu besorgen. Bitte, komm mit! Ich würde mich riesig freuen.«
Lorena sagte gar nichts. Ja, auch sie würde sich riesig freuen, könnte sie ihn bei dieser Tournee begleiten, aber wie sollte das gehen?
»Es müssen ja nicht die ganzen drei Wochen sein, wenn du nicht so lange freibekommst«, versuchte er es weiter. »Aber ein paar Tage müssten doch drin sein. Auch dir steht der gesetzliche Urlaub zu. Sag das deinem Chef, wenn er Probleme macht!«
Lorena stotterte, sie würde darüber nachdenken und ihren Chef fragen, auch wenn sie das nicht vorhatte. Natürlich stand ihr Urlaub zu, und den würde sie auch bekommen. Doch wie konnte sie mit Jason und dem Orchester einfach so durch Europa reisen? Wo würde sie sich jede Nacht verbergen? Wie könnte sie sicherstellen, dass sie in ihrer Gestalt als Nachtmahr nichts anstellte, das sie später bedauerte? Womöglich würde ihre Lust wieder einmal außer Kontrolle geraten und sie sich an seinen Kollegen vergreifen – egal, ob deren Ehefrau oder Freundin mit dabei war oder ob sie sie zu Hause gelassen hatten. Lorena konnte für den Nachtmahr in sich einfach nicht die Hand ins Feuer legen, nicht einmal hier in ihrer gewohnten Umgebung, trotz der Maßnahmen, die sie getroffen hatte. Ein Nachtmahr ließ sich nicht so leicht bändigen und war auch nicht bereit, sich regelmäßig einsperren zu lassen.
Nein, es war ganz und gar unmöglich. Traurig musste sich Lorena das eingestehen. Wie aber sollte sie Jason das erklären?
Sie spürte, dass die Schlinge aus Lügen und Ausflüchten sich immer enger um sie zog. Irgendwann würde er ihr nicht mehr glauben und sich enttäuscht oder misstrauisch von ihr abwenden. Der Tag rückte unerbittlich näher, und es gab nichts, ihn aufzuhalten. Lorena spürte die tiefe Trauer, die sich in Verzweiflung ausweitete. Sie durfte Jason nicht verlieren. Es würde ihr das Herz brechen. Sie gehörten zusammen, das konnte sie spüren. Aber wie sollte es möglich sein, ihn zu halten?
Sie fand keine Antwort darauf. Vielleicht gab es keine. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als abzuwarten und jede Stunde, die ihnen geschenkt wurde, mit ihm zu genießen. Sie musste sich eine glaubwürdige Ausrede einfallen lassen, warum sie nicht mit ihm reisen konnte. Eine, die ihn vielleicht traurig stimmen würde, nicht aber verletzen. Er sollte auf seiner Reise die Sehnsucht nach ihr spüren und dann gern zu ihr zurückkehren.
Lorena zerbrach sich den Kopf. Sollte sie sagen, sie habe ihren Jahresurlaub im Sommer schon vollständig aufgebraucht? Wenn sie keinen Urlaubsanspruch mehr hatte, konnte ihr Chef ihr auch keinen genehmigen, und sie musste leider in London bleiben.
Ja, das könnte gehen.
Für einen Moment fühlte sie Erleichterung,
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