Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
lenken.«
»Rücken Sie endlich mit der Sprache raus, Frau Peuker! Was ist mit Matthias Boll?«
»Das wissen Sie doch!«
»Reden Sie!«
»Dieser Mann quält Tiere zum Spaß! Mehr noch: Er missbraucht sie. Das geilt ihn auf. Was meinen Sie, woher der Manfred das hat! Der Junge fing an damit, als dieser Boll bei ihnen einzog.«
»Und das wissen Sie genau?«
»Fragen Sie den Manfred! Der hat mir davon erzählt, als ich ihn bei mir im Stall erwischt habe. Den Jungen haben Sie doch hier! Oder fragen Sie seine Mutter. Die müsste Ihnen allerhand zu ihrem Bruder erzählen können.«
Genau das hatte Judith Brunner auch vor. Was würde Manfred Peukers Mutter zu alldem zu sagen haben? Doch sie war mit Charlotte Peuker noch nicht fertig. »Und Ihr Sohn hat nichts gewusst von dem Problem mit seinem Schwager? Er hat diesem Tierquäler über Jahre den Umgang mit seinem Sohn gestattet?«
»Woher sollte er denn davon wissen? Meine Schwiegertochter hat doch lieber meinen Sohn in die Wüste geschickt, als das Familiengeheimnis preiszugeben! Und mir war die ganze Geschichte furchtbar peinlich! Sollte ich die Sache mit meinem Enkel auch noch breittreten?«
Judith Brunner konnte es kaum glauben. »Und Sie denken, Ihre abscheuliche Inszenierung mit dem Hund ist besser? Sie hätten doch bloß den Mund aufmachen müssen! … Wie kamen Sie eigentlich an den Hund der Bolls ran?«
»Ich kaufe öfter frisches Fleisch auf dem Hof. Und entfernt verwandt sind wir ja gewesen. Also redet die Bäuerin, ich meine Margarete, immer ein paar Sätze mit mir. Die ist recht freundlich. Fragt, wie es mir geht und so. Ihr Bruder ist ganz anders. Kaum ein Wort wechselt der mit einem. Mehr als den Preis für das Fleisch hört man nicht. Und nicht, dass Sie denken, ich bekomme als Verwandtschaft mal irgendetwas billiger! Nee, nee. Vielleicht ist der ja genauso krank, wie sein jüngerer Bruder. Steht nur auf Tiere und solchen Schweinkram. Ne richtige Frau hat der ja och nich’.«
Charlotte Peuker mochte die Familie Boll wirklich nicht, dachte Judith Brunner. Was die Frau jedoch nicht davon abhielt, dort regelmäßig einzukaufen. »Können wir auf den Hund zurückkommen?«
»Na, der Köter kennt mich eben. Bin doch fast jede Woche dort gewesen. Da war es nicht schwer, ihn anzulocken und zu ersticken. Hab einfach ’nen Plastebeutel genommen. Ich hatte mir genau überlegt, was ich tun wollte.«
»Ich höre«, sagte Judith Brunner.
»Das Haus von Waltraud Zabel kenne ich gut. Waltraud und ich waren früher oft zusammen. Wir sind ein Jahrgang. Bis vor Kurzem besuchten wir uns noch regelmäßig. Aber jetzt ist sie ja bei ihrem Sohn ... Den Spruch über ihrer Tür habe ich oft genug gelesen; ein Bußpsalm schien mir passend zu sein, um auf diesen widerwärtigen Mann und seine perversen Neigungen hinzuweisen. Waltraud hat sich oft genug bei mir darüber beklagt, dass ihr Grundstück als Abkürzung benutzt wird. Also konnte ich davon ausgehen, dass der Hund bald entdeckt würde. Das mit dem Schwanz war vielleicht übertrieben, doch ich wollte deutlich machen, was der Perversling mit den Tieren macht. Und das Klimpergeld, na ja, dreißig Silberlinge – die abgeschnittene Zunge allein hätte es bestimmt auch getan. Sie sind sicher schnell darauf gekommen. Verrat. Denn irgendwie habe ich meine Familie verraten, auch wenn es nur die angeheiratete Seite meines Sohnes war.« Charlotte Peuker seufzte: »Am Ende stellt sich nun heraus, dass ich Ihnen auch noch meinen Enkel ausgeliefert habe ... Ist das nicht eine schreckliche Geschichte? Na, ist vielleicht besser so. Das arme Ding hatte ich am Nachmittag noch gesehen, wie sie draußen Lindenblüten gesammelt hat. Ich war gerade beim Tischabräumen.«
Es gab eigentlich nicht mehr viel zu sagen. Judith Brunner beendete das Verhör. Sie erklärte der Frau kurz das weitere Verfahren und wartete, dass sie abgeholt und aus dem Zimmer gebracht wurde. Judith Brunner stand, immer noch ein wenig konsterniert, auf und verabschiedete sich förmlich von Charlotte Peuker.
Die schwieg. Erst kurz bevor sie den Verhörraum in Begleitung eines Uniformierten verließ, fand sie ihre Sprache wieder. Die alte Frau drehte sich mit leeren Augen um und fragte dann: »Gibt es auch glückliche Familien?«
~ 60 ~
Judith Brunner machte nur zehn Minuten Pause. Sie wollte die Sache zum Ende bringen. Kurz sah sie in ihrem Büro die neuesten Mitteilungen durch, stärkte sich mit einem Kaffee und wartete, bis Dr. Grede die Mutter
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