Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
wohnte, hatte im Dorf sogar zu Gerüchten über eine Liebesbeziehung der beiden geführt. Herrje! Laura hatte Tante Irmgards Unbehagen immerhin zerstreuen können, indem sie ihr von ein paar vielversprechenden Verabredungen mit Männern erzählte, die allerdings nie wirklich stattfanden.
Laura hatte deswegen kein schlechtes Gewissen. Sie seufzte verträumt. Die Liebe zum Mann ihres Lebens fand nämlich auf andere Weise, im Verborgenen, statt. Sein Geld, und davon schien er reichlich zu besitzen, verdiente dieser Mann mit einer Arbeit, die bestenfalls mit mysteriös zu beschreiben war. Uneingeweihte – das waren außer Laura und einer Handvoll Leute alle anderen – würden in ihrer Einschätzung eher zu undurchsichtig oder zwielichtig tendieren. Immer unterwegs, um die Welt zu retten, wie er es selbst ausdrückte. Ein Mal hatte sie das Gefühl gehabt, er habe es gerade noch geschafft, sich zu ihr – in ihre Berliner Wohnung – zu schleppen, um dann neunzehn Stunden am Stück durchzuschlafen. Ein andermal schmerzte seine linke Schulter so heftig, dass er sie nicht einmal fest umarmen, sie weder hochheben noch festhalten konnte. Deswegen hatten sie beim Sex vorsichtig Neues ausprobieren müssen, woran Laura sich oft und klopfenden Herzens erinnerte. Sie sahen sich nicht gerade regelmäßig, manchmal sogar über mehrere Wochen nicht. Doch immer wieder gelang es ihm, ihr ein Lebenszeichen zu geben; überraschend fand sie äußerst wertvolle Geschenke. Er war gut zu ihr, das allein zählte.
Sie war ein Single in einer festen Beziehung. Und glücklich – wie viele Menschen können das von sich behaupten? Aber es gab auch dunkle Stunden, voller abgrundtiefer Qual, in denen sie die Angst um ihren Liebsten kaum beherrschen konnte. Häufiger schon hatte sie feststellen müssen, dass ihr nachts um drei die Dinge besonders schrecklich erschienen. Inzwischen hatte sie aber gelernt, einige dieser Angstattacken in Momente romantischer Verzweiflung umzudeuten. Das half, um bis zum nächsten Wiedersehen durchzuhalten.
Selbst Walter hatte von Zeit zu Zeit versucht, sie über ihr Liebesleben auszuhorchen. Erfolglos. Auch ihm hatte Laura ein paar unbedeutende Verabredungen vorgeflunkert. Sie wollte ihr Geheimnis nicht preisgeben, für nichts auf der Welt. Warum sollte sie auch?
Lediglich Wilhelmina, deren katzentypischer Hang zu nächtlichen Streifgängen sie regelmäßig auf das Fensterbrett von Lauras Schlafzimmer führte, war womöglich Zeugin einer der wenigen Besuche geworden, die Laura in ihrem Waldauer Haus bisher von ihm bekommen hatte.
Von all dem konnte und wollte Laura Tante Irmgard nichts erzählen. Hoffend, dass der Fall des vermissten Mädchens ihre Großtante heute und wohl auch in den nächsten Tagen hinreichend vom Thema Familiengründung ablenken würde, machte sie sich auf den Weg. Wenn dem nicht so wäre, müsste eben wieder die Ausrede vom richtigen Mann, den sie noch nicht gefunden hätte, herhalten.
Kaum war Laura um die Hausecke gebogen, sah sie Tante Irmgard mit zwei ihrer Freundinnen aus dem Dorf in angeregter Unterhaltung stehen. Beim Näherkommen stellte sie mit Erleichterung fest, dass es in der Diskussion nicht um sie ging.
»Stell dir vor, seit gestern Nachmittag hat sie keiner mehr gesehen!«, hörte sie Edeltraud Weber sagen.
Die schlechten Nachrichten hatten, wie von Laura bereits vermutet, die Runde gemacht. Das war auch kaum zu vermeiden, bei der groß angelegten Suchaktion.
»Laura! Gut, dass du kommst. Hat Frau Brunner dir schon was erzählt?«
Irmgard Rehse schaffte es nicht, die Polizistin beim Vornamen zu nennen, obwohl die nun schon einige Zeit auch ihre Nachbarin war und sie genau wusste, dass Judith Lauras Freundin war. Der Respekt vor einer Amtsperson gebot ihr eine höflich gemeinte Distanz. Was sie allerdings nicht daran hinderte, die engen Verhältnisse zu nutzen und Laura stets ungeniert auszuhorchen.
»Guten Tag«, grüßte Laura die drei und versuchte einen unbeschwerten Tonfall. »Tut mit leid, ich weiß auch nichts Näheres. Sie ist erst vor einer guten Stunde los und noch nicht wieder nach Hause gekommen.«
Irmgard Rehse, die sich wunderte, dass Laura sie so kraftlos umarmt hatte, entdeckte den Verband. »Meine Güte! Was ist denn mit deiner Hand passiert?«
Laura setzte an, von ihrem Malheur zu berichten, als die Sirene, welche die Männer von der Freiwilligen Feuerwehr zusammenrief, begann, laut und unheilvoll durch das Dorf zu heulen. Der auf- und abschwellende
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