Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
Moment dauern.«
Judith nutzte die Zeit, die Clara Eichner in ihrer Küche brauchte und eilte zurück zum Büro des Ortspolizisten. Doch der schüttelte bei ihrem Eintreten nur den Kopf. Es gab noch keine Spur vom Mädchen.
Ohne weiter zu zögern, ließ Judith Brunner ihn die Freiwilligen Feuerwehren der Nachbardörfer alarmieren.
Als sie wenig später Clara Eichner davon berichtete, dass Ilona bisher nicht gefunden wurde, versuchte sie so zu tun, als sei das eine gute Nachricht. Dann erkundigte sie sich: »Frau Eichner, können Sie mir bitte erzählen, was Sie gestern gemacht haben?«
Die Hausherrin schenkte den Kaffee bedächtig ein, fragte mechanisch nach Milch und Zucker und setzte sich wieder, ohne die Zutaten herbeizuholen. Langsam rührte sie mit einem alten Silberlöffel in ihrer Tasse und begann zu berichten: »Mittags waren wir in unserer Gastwirtschaft einen Happen essen. Bei der Wärme hatte ich keine Lust, selber zu kochen. Das war etwa gegen eins. Hinterher spazierten wir durchs Dorf. Immer wieder suchte Ilona nach bestimmten Wildblumen und Gräsern. Dabei sind wir kaum vorangekommen. Am Kiosk des Sportvereins haben wir dann eine kleine Rast gemacht. Ich trank einen Kaffee und Ilona verputzte ein Stieleis. Dann sind wir in Richtung der Felder über die Bahnhofstraße gemütlich zurück nach Hause gegangen. Wir trafen hier kurz vor vier wieder ein. Ich wollte mich ein paar Minuten hinlegen und Ilona fragte, ob sie wieder raus zur Landstraße nach Waldau gehen und weiter Blumen sammeln könne. Über die Ferien haben die Schüler der Natur AG nämlich eine Aufgabe bekommen, die Ilona begeisterte: Sie sollten ein Herbarium anlegen. Ob mit Kräutern, Gräsern oder Blumen war ihnen freigestellt. Ilona wollte ein besonderes Album herstellen und freute sich schon, es vorzeigen zu können. Sie plante, ausschließlich Wildblumen zu pressen. Sie hatte die Schönheit in den Pflanzen entdeckt, die viele für Unkraut hielten. Ich hatte nichts dagegen, dass sie wieder losmachte. Auch mir waren bei unserem Spaziergang schon die leuchtenden Nachtnelken und der kleine Storchschnabel aufgefallen. Ilona nahm sich ihr Löschblattheft und dazu eine Papiertüte vom Küchenschrank, denn in die wollte sie auch noch Blüten und Blätter für einen Kräutertee sammeln. Dann ist sie los und seitdem ...« Hier versagte Clara Eichner kurzzeitig die Stimme. Sie nahm ihren Bericht wieder auf: »Ilona hatte gesagt, dass sie ihre Freundin Kristin Lindner zum Sammeln abholen wollte. Als sie halb sieben immer noch nicht zu Hause war, wurde ich zwar etwas ungehalten, weil wir um diese Zeit eigentlich gemeinsam Abendbrot essen, doch wir hatten keine Uhrzeit ausgemacht. Gegen sieben entschloss ich mich dann, zu den Lindners zu gehen, weil ich dachte, dass die Mädchen sich verplauscht hätten. Doch dort war Ilona am Nachmittag gar nicht aufgetaucht! Ab da machte ich mir langsam Sorgen und ging zu unserem Dorfpolizisten, doch der Grambow war unterwegs. Also habe ich bei Ihnen in Gardelegen angerufen, das erste Mal. Aber der Polizist dort hat mich einfach nur vertröstet.« Jetzt schluchzte Clara Eichner laut auf. Die mühsam aufrechterhaltene Fassung war hinüber. Es blieb nur eine große Angst.
~ 13 ~
Laura zögerte mit dem längst fälligen Sonntagsbesuch bei Irmgard Rehse. So gern sie sich von ihrer Großtante auch mit altmärkischer Küche verwöhnen ließ und geduldig den dörflichen Tratschgeschichten lauschte – in letzter Zeit waren ihre Gespräche immer wieder bei einem Thema gelandet, das Laura eigentlich nicht diskutieren wollte: Kinder! Nicht irgendwelche Kinder, nein, Lauras eigene Kinder. Beziehungsweise die Tatsache, dass sie keine hatte. Und auch keine wollte.
Das war ein Punkt, den Laura bisher so deutlich allerdings auch nicht ausgesprochen hatte, denn sie war überzeugt, dass Tante Irmgard sich schwertun würde, ihren Ansichten zuzustimmen. Laura wollte keine Familie. Sie wollte einen Mann. Nichts weiter. Zweisamkeit. Privatsphäre. Romantische Liebe. Laura fürchtete den Familienalltag als Käfig.
Abgesehen von Tante Irmgards eigener Kinderlosigkeit und ihrem Leben als unverheiratete Frau, Tatsachen, die stets mit einem im Krieg gebliebenen Verlobten begründet worden waren, gab es eigentlich gar keinen Ansatz für Tante Irmgards neues Lieblingsthema, doch eine gut aussehende Mittdreißigerin ohne Kinder löste bei manchen Menschen Argwohn aus. Und dass in Lauras Haus eine weitere ledige Frau
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