Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
Junge kann doch nichts dafür.«
»Du meinst, es ist Mirow?«
»Wer sonst?«, knurrte Josef Pape.
Grambow wusste, dass sie nur noch hoffen konnten, dass für Lothar Mirow nicht jede Hilfe zu spät kam. Er schickte Pape raus zu Hempel. Hier drin sollten sich jetzt nicht mehr Leute aufhalten als unbedingt nötig. Die Scheune war zu einem Tatort geworden.
Die Zeit bis zum Eintreffen des Krankenwagens verbrachte er schweigend.
Vom Verletzten war kein Laut zu hören und auch kein anderes Lebenszeichen erkennbar.
Als Grambow gewahr wurde, wie ein Fahrzeug sich näherte und anhielt, lief er dem Arzt entgegen und erläuterte ihm die Situation. Dann zog er sich zurück.
Der Notarzt hatte Lothar Mirow stabilisiert und für den Transport vorbereitet, als er Grambow noch einmal zu sich rief. »Das hier schneide ich besser sofort ab«, deutete er, eine geknickte Schere in der Hand haltend, in Richtung Kopf seines Patienten. Um Mirows Hals war ein Seil geknotet.
~ 35 ~
»Können Sie mir vielleicht erklären, was ich hier mache? Was soll der ganze Scheiß? Gibt’s hier irgendwelche bekloppten Tierschützer oder so? Wie soll ich dem Hengst denn sonst beibringen, dass er die Stuten in Ruhe zu lassen hat! Ich habe nicht genug Land, um ihn alleine wegzusperren, jetzt wo die rossig werden. Ich kümmer mich schon noch drum – versprochen!«
Walter Dreyer stand mit dem schimpfenden Bauern vor Karl-Horst Stein, der seine Schicht überpünktlich angetreten hatte. Er bat den Wachtmeister, ohne auf die Tiraden seines Verdächtigen einzugehen: »Würden Sie der Chefin Bescheid geben, dass ich hier jemanden habe, mit dem sie sich unterhalten sollte.«
»Kreisstellenleiterin Brunner!«, legte Stein Wert auf dienstliche Umgangsformen.
»Ja, der auch«, gab Dreyer zurück, doch Ironie war an Stein verschwendet.
»So spät noch einen Besucher? Davon weiß ich gar nichts.«
»Es ist dringend«, überging Walter Dreyer die überflüssigen Bemerkungen.
Stein blickte argwöhnisch und wusste nicht, was er tun sollte. Statt einfach zum Telefon zu greifen, stand er schließlich auf. »Ich gehe jemanden holen«, sagte Stein laut, dachte aber nicht im Traum daran die oberen Dienstränge mit so einer Lappalie zu belästigen.
Dreyer hatte keine Lust zum Streiten. Die paar Minuten würden nun auch nichts mehr ausmachen. Er setzte sich mit Otto Molitz in den Wartebereich. Es war anstrengend genug gewesen, den Bauern hierher zu bekommen. Dreyer hatte seine ganze Autorität als Polizist eingesetzt, um den Mann zu bewegen, gleich von der Weide weg – im eigenen Auto – mit ihm nach Gardelegen zu fahren. Dabei hatte er den Eindruck erweckt, das Schlagen eines Hengstes wäre ein Vergehen, dem nachzugehen sei: »So können Sie nicht mit Tieren umgehen. Und Gegenstände sind sowieso strengstens verboten. Packen Sie umgehend Ihren Kram zusammen; den Zaun können Sie liegen lassen, aber die Werkzeugkiste nehmen wir zur Beweissicherung mit.«
Mehr als skeptisch hatte sich der Mann den läppischen Vorwurf angehört, fluchend das Schlauchstück in den Kofferraum geschmissen, sich dann aber mit den Worten gefügt: »Faxen! Kann ja nicht lange dauern.« Dabei hatte er Walter Dreyer angesehen, als wäre der weit eher ein Fall, den man in Obhut nehmen sollte.
Die Fahrt über hatten sie stur geschwiegen. Otto Molitz wollte es schnell hinter sich bringen; mehr als ein Bußgeld konnte es nicht geben! Und Walter Dreyer sah keine Notwendigkeit, ihn darüber aufzuklären, dass er sich hinsichtlich eines kurzen Aufenthaltes in der Kreisdienststelle der Volkspolizei möglicherweise falsche Hoffnungen machte.
Wachtmeister Stein erschien und teilte mit: »Sie werden abgeholt.« Dann setzte er sich wieder hinter den Tisch in seinem Kabuff.
In den nächsten Minuten geschah nichts.
Walter hatte es satt. Er stand auf und rief laut in das Gebäude: »Hallo? Kann mich jemand hören?! Ich brauche Hilfe! Hallo!«
Otto Molitz starrte ihn an, als hätten sich seine Befürchtungen bezüglich des geistigen Zustands seines Begleiters bestätigt und Stein griff – endlich! – zum Telefon.
Lisa und Judith kamen gemeinsam herbeigeeilt; wer weiß, was Stein ihnen erzählt hatte! Walter war alles recht.
»Was ist mit dem Jungen?«, wollte Judith Brunner als Erstes wissen.
»Keine Sorge! Dem geht es gut. Ich habe ihn kurz hinter der Koppel dieses Mannes« – er deutete auf Molitz – »bei der Herde gesehen. Er tobte mit dem Hund.« Dann nahm Walter Dreyer die
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