Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
hin, dass ein Ersatz für den Wachtmeister in nächster Zeit nur schwer zu bekommen sein würde, sie solle sich das also gut überlegen.
Für Judith Brunner gab es da nichts zu überlegen. Der Mann hatte in ihrer Dienststelle nichts mehr verloren. Sie würde die Versetzung beantragen. Den Verlust würde sie gewiss verschmerzen können.
Als sie dem Wachtmeister ihre Entscheidung mitteilte, gab Grille sich beleidigt und drohte, sie werde schon sehen, was sie davon hätte. Doch als er sah, dass sich seine Chefin nicht einschüchtern ließ, setzte er berechnend hinzu: »Tut mir ja alles leid, aber das Mädchen hätte ich so oder so nicht retten können.«
Genau diese Haltung war das Problem und Judith Brunner musste es ihm nochmals verdeutlichen: »Sie erkennen es einfach nicht. Die Leute müssen uns vertrauen können. Sie haben ein Recht darauf, dass wir unsere Arbeit vernünftig erledigen. Und ich muss mich darauf verlassen können, dass die Mitarbeiter meiner Dienststelle das auch kapiert haben. Hätten Sie angemessen und den Vorschriften entsprechend reagiert, hätten wir zumindest Zeit gewonnen und wären mit unseren Ermittlungen womöglich schon viel weiter. Sie haben Ihre Pflichten verletzt, und das nicht zum ersten Mal, wie wir beide wissen.«
Über den strengen Verweis, den sie dann aussprach, grinste Grille nur abfällig.
Judith Brunner entließ ihn in der Hoffnung, seine Anwesenheit nicht mehr lange ertragen zu müssen.
Der Anruf aus Jemmeritz kam erst über zwei Stunden später. »Wir haben sämtliche Räume und Nebengelasse einer Durchsicht unterzogen«, meldete der Einsatzleiter in Polizeideutsch. »Wir haben alle Personen befragt, die hier oder in der Nähe wohnen. Sowohl die Durchsuchungen als auch die Befragungen verliefen negativ. Niemand hat weitere Schlauchstücke dieser Art gesehen. Auf dem Hof befanden sich zwar einige Schlauchrollen, aber die hatten alle stärkere Durchmesser und waren durchweg neueren Fabrikats.«
Judith Brunner bedankte sich bei ihm und wünschte einen angenehmen Feierabend.
Ritter hatte ihr bereits bestätigen können, dass die Schlauchstücke sich in Durchmesser und Material absolut glichen, doch zeigten unterschiedliche Schnittstellen, dass sie nicht nacheinander vom selben Schlauch abgetrennt worden waren. Das Stück von Molitz war ungefähr doppelt so lang. Mehr Erkenntnisse gab es auf die Schnelle nicht. Im Auto und im Werkzeugkasten des Mannes war nichts aufgetaucht, was sich nicht auch bei jedem anderen Bauern hätte finden lassen können.
Um Otto Molitz hinzuhalten, bis die Durchsuchung seines Autos und seines Hofes abgeschlossen war, hatte Lisa Lenz ihn neben einem ausführlichen Bericht zu seinem generellen Umgang mit Tieren – »ein paar Seiten müssen das schon sein« – auch um genaue Lageskizzen seiner Koppeln in verschiedenen Maßstäben gebeten; er sollte auch die Pferde und die Bäume einzeichnen. »Der Besatz im Vergleich zur Gesamtfläche ist ganz wichtig«, hatte sie autoritär betont und dabei an ihr Aquarium gedacht. Auf dem Rückweg in ihr Büro hatte sie sich bereits weiteren Unsinn überlegt, falls sich alles noch weiter hinzog.
Entsprechend mies gelaunt war Molitz, als Judith Brunner und Dr. Grede zu ihm ins Vernehmungszimmer kamen. Sofort sprang er auf und polterte los: »Was soll der ganze Scheiß! Denken Sie, ich habe nichts Besseres zu tun, als hier rumzukritzeln?! Ich will den Chef sprechen.«
»Der bin ich. Sprechen Sie«, sagte Judith Brunner gelassen.
So schnell hatte Molitz nicht mit der Erfüllung seiner Forderung gerechnet. Er setzte sich widerspruchslos hin, als Judith Brunner sich und Dr. Grede vorstellte und ihn mit einer Geste zur Beruhigung aufforderte.
Hatte sie hier einen Vergewaltiger und Mörder vor sich stehen? Judith Brunner überlegte. Auf sein Aussehen konnte sie nichts geben. Auch solche Männer mordeten und vergewaltigten. Und Otto Molitz war ein ziemlich ansehnlicher Vertreter dieser Gattung, auch wenn er wahrscheinlich zu viel trank und damit riskierte, sein gutes Aussehen zu ruinieren. Seine Augen hatten schon einen leicht triefigen Ausdruck und sein Oberbauch drückte sichtbar gegen das lässig über den Jeans getragene sportliche Hemd.
Judith Brunner begann das Gespräch: »Herr Molitz, Sie sind hier, weil mein Kollege aus Waldau beobachtet hat, wie Sie ein Pferd mit einem Schlauch geschlagen haben.«
»Kann der sich nicht um seine eigenen Angelegenheiten kümmern? Haben Sie sie eigentlich noch alle?!
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