Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
Ingrimm dachte er an die steten Unterstellungen und Pöbeleien, denen Mirow ausgesetzt war, und die er nicht in jedem Falle verhindern konnte.
Hempel klopfte an die Haustür. Niemand kam, um zu öffnen. Er klopfte noch einmal. »Lothar, bist du da?«, rief er und versuchte, durch das Fenster etwas zu erkennen. »Niemand zu Hause«, teilte er dann Grambow achselzuckend mit.
»Sein Fahrrad steht aber da«, wies der auf die Scheunenwand. »Eigentlich ist er damit immer unterwegs.«
»Er wird doch nicht im Garten sein? Der hat ihn noch nie interessiert.« Wenig überzeugt wandte sich Hempel zur offenen Gartentür hinter dem Holzschuppen.
In diesem Moment hörten sie ein gequältes Stöhnen.
Sie stürzten los.
Grambow stieß die Scheunentür auf. Erst einmal sah er nichts und blieb abrupt stehen.
Hempel konnte nicht mehr bremsen und stolperte ihm in den Rücken.
Als sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sahen sie immer noch nicht viel mehr.
Doch dann war das Stöhnen erneut zu vernehmen.
»Da hinten!«, rief Grambow und stoppte erschrocken nach wenigen Schritten. In einem Verschlag zu seiner Rechten lag zusammengekrümmt ein blutiges Bündel Mensch.
»Scheiße! Was ist das denn?« Der Anblick war so schlimm, dass Grambow erst nach einigen Schocksekunden rufen konnte: »Rudi, lauf rüber zu den Papes. Die haben Telefon. Irgendjemand wird schon zu Hause sein. Wenn nicht, kletter durchs Fenster. Wir brauchen sofort einen Krankenwagen. Und dann komm schnell wieder her. Ich kümmere mich inzwischen um den Mann hier.«
Hempel rannte den kurzen Weg, so schnell er konnte. Energisch klopfte er an die Haustür und rief, trotz seines regelmäßigen Feuerwehrtrainings ein wenig außer Atem, laut: »Hallo! Ist jemand da? Ich brauche Hilfe!« Er hörte schwere Schritte näherkommen.
Wenig später stand der alte Pape im Hausflur; er trug Gummischuhe, seine Hose war hochgekrempelt und das weiße Unterhemd spannte über seinem gewaltigen Bauch. »Ich bin beim Pflanzen«, erklärte er ungefragt. Es blieb offen, ob er damit seinen nachlässigen Aufzug entschuldigen wollte oder ob er andeutete, dass Hempel ihn störte.
Ohne darauf einzugehen, erklärte Rudi Hempel: »Ich bin mit Grambow unterwegs. Wir haben hinten, beim Haus vom Mirow, einen verletzten Mann gefunden.« Noch während Hempel die Situation schilderte, schob er Pape beiseite und bemächtigte sich des Telefons im Flur. »Ich muss einen Krankenwagen rufen.«
Als der Anruf erledigt war, fragte Pape, der nicht umhin gekommen war, mitzuhören: »Soll ich mitkommen?«
Hempel hob die Schultern und rief: »Was weiß denn ich?«, und lief zurück.
Ernst Grambow hatte vorsichtig eine alte Decke über den schwer verletzten Mann gebreitet und sich dann ratlos auf einen Strohballen gegenüber gesetzt. Von dort aus versuchte er zu erkennen, ob sich der Brustkorb des Mannes weiter hob und senkte. Er konnte es nur hoffen, denn eine Mund-zu-Mund-Beatmung war bei dem zertrümmerten Gesicht unmöglich. Grambow konnte nur warten. Was hatte Mirow sich bloß dabei gedacht!? Was war nur in diesen schmächtigen, friedlichen Mann gefahren? War seine Geduld erschöpft gewesen und er hatte dieses Mal beschlossen, sich zu wehren? Gut! Aber musste er dann einen Mann gleich so brutal zusammenschlagen? Kampfspuren waren im Halbdunkel nicht zu erkennen. Grambow sah sich nach einem als Schlagwaffe geeigneten Gegenstand um. Er musste nicht lange suchen; in dieser Scheune entdeckte er Dutzende Geräte, die infrage kämen.
Dann endlich fiel der Groschen und Grambow stürzte erneut zu dem Mann. Konnte es Mirow selbst sein? Er war nicht in der Lage, in dem zugequollenen, blutverschmierten Gesicht ein ihm bekanntes zu entdecken.
Schritte polterten in die Scheune. »Alles geklärt«, teilte Hempel laut brüllend mit.
Kurz nach ihm schnaufte er alte Pape herein und blieb vor dem Verschlag stehen. »Mein Gott! Diese Schweine!«, entfuhr es ihm.
»Du weißt, was das bedeuten soll, Jupp?«, wunderte sich Grambow. Dann sah er Rudi Hempel an und bat ihn: »Gehst du vor zur Straße und zeigst dem Krankenwagen den Weg?«
Hempel entdeckte den besorgten Ausdruck auf dem Gesicht seines Ortspolizisten und ging widerspruchslos.
»Das sieht man doch, sie haben ihn besinnungslos geprügelt«, meinte Pape, angesichts des regungslos daliegenden Mannes sofort davon überzeugt, dass es mehrere Angreifer gegeben haben muss. Ein Einzelner konnte dies nicht getan haben. Oder? »Mein Gott, der
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