Nachtprogramm
auszureden. »Oh, das meinen Sie doch nicht wirklich.«
»Und ob er das meint«, sagte meine Mutter.
Sie waren tats ächlich ein komisches Paar, nicht wegen ihrer unterschied lichen Hautfarbe, sondern weil sie äußerlich so verschieden waren. Lance sah gut aus und war es gewohnt, bewundert zu werden. Belinda hingegen war dürr und machte einen » unvorteilhaften Eindruck«, wie meine Mutter sagte, »und das ist noch die schonendste Art, es auszudrücken«.
Nach ihrem Einzug waren die Taylors ausgesprochen freundlich und vol ler Eifer. Ob sie einen Gemüsegarten anlegen dürften? Aber sicher! Das Wohnzimmer streichen? Warum nicht? Aber im Garten wurde nie etwas gesät, und die Farbeimer blieben ungeöffnet.
Sie stritten oft und laut, und mehr als einmal musste die Polizei kommen und dazwischen gehen. Als er zum ersten Mal mit der Miete im Verzug war, rief Lance bei uns zu Hause an und verlangte von meinem Vater, er solle seine Auffahrt mit Kies bestreuen. »Ich zahle keine dreihundert Dollar im Monat, um über zerstoßene Austernschalen zu laufen«, sagte er. »Das ist schlecht für meine Reifen und für meine Schuhe, und ich zahle nicht eher, bis Sie was getan haben.«
Lances Einfahrt mit Kies zu bestreuen hieß, sämtliche Einfahrten mit Kies zu bestreuen, und es überraschte uns alle, dass mein Vater einwilligte.
»Und ich rede nicht von billigem Kies«, sagte Lance. »Ich will die hübschen Steine.«
»Sie meinen Kiesel?«
»Genau die.«
Die Einfahrt gehörte bestimmt nicht zu den Dingen, die am dringendsten gemacht werden mussten, aber es war ermutigend, dass jemand sich für ir gendetwas einsetzte. Mein Vater hätte genauso gehandelt, wenn er Mieter gewesen wäre, und indem er dies eingestand, konnte er seine widerwillige Anerkennung nicht verhehlen. »Der Kerl hat Unternehmungsgeist«, sagte er. »Keine Frage.«
Eine Fuhre Kies wurde angeliefert, und ich ließ mir drei Tage Zeit, ihn gemächlich in der Einfahrt zu verteilen. Lance zahlte die Miete, bis er einige Monate später anrief und sich beschwerte, im Baum vor seinem Schlafzimmerfenster würden sich Vögel versammeln. Bei Geiern hätten wir Verständnis gehabt, aber hier handelte es sich um Singvögel, deren einziges Verbrechen ihre gute Laune war.
»Was erwarten Sie von mir?«, fragte mein Vater. »Dass ich persönlich vorbeikomme und sie vertreibe? Vögel gehören zum Leben, Kumpel. Man muss lernen, mit ihnen auszukommen.«
Lance bestand darauf, der Baum m üsse gefällt werden, und als mein Va ter Nein sagte, machte er es kurzerhand selbst. Es war kein besonders alter oder schöner Baum, aber das war meinem Vater egal, der Bäume liebt und für sie schwärmt wie ein Playboy für Frauen. »Jetzt sieh dir das an!«, konn te er unvermittelt sagen und mitten an einer belebten Kreuzung anhalten.
»Sieh dir was an?«
»Na was wohl? Den Ahorn, Blödmann. Ein Wahnsinnsteil.«
Als er erfuhr, was Lance gemacht hatte, zog mein Vater sich in sein Schlafzimmer zur ück und starrte auf die Eichen vor dem Fenster. »Zurück schneiden ist eine Sache«, sagte er. »Aber einen Baum einfach abzusägen? Sein Leben tatsächlich auszulöschen? Was für ein Tier ist dieser Typ?«
Lance hatte den Baum mit einer Axt gefällt und dann einfach liegen gelassen. Ein paar Wochen später, mittlerweile einen ganzen Monat mit der Miete im Verzug, beschwerte er sich, dass Ratten in den Zweigen hausten. »Ich rufe bei der Stadt an und melde Sie«, sagte er zu meinem Vater. »Und sollte eines meiner Kinder gebissen werden, rufe ich bei der Stadt und bei meinen Anwälten an.«
»Seine Anwälte, dass ich nicht lache!«, sagte mein Vater.
Meine Mutter hatte versucht, es mit Humor zu nehmen, doch jetzt f ürch tete sie, Lance selbst könne die Kinder beißen. Gespräche mit anderen Vermietern hatten sie davon überzeugt, dass er zu der Sorte Mieter gehörte, die ihre Miete nicht zahlten und einen dann so lange bearbeiteten, bis man schließlich nachgab. Wenn ein Vermieter eine Fähigkeit mitbringen musste, dann die, solche Leute auf Anhieb zu erkennen und niemals ins Haus zu lassen. Lance und seine Frau hatten es geschafft, und nun mussten meine Eltern sie wieder loswerden, zielstrebig und nach allen Regeln der Kunst. Um den Taylors keine weitere Handhabe zu bieten, beschlossen sie, den Baum zu entfernen. »Ich sehe keine andere Möglichkeit«, sagte meine Mutter. »Der Mistkerl setzt uns die Pistole auf die Brust, und wir müssen sprin gen.«
Ich fuhr mit meinem Vater
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