Nachtprogramm
somit verhandelbar war. Ich hielt ihm einen Zettel mit den geleisteten Arbeitsstunden hin, die er sofort infrage stellte und auf eine Zahl herunter rechnete, die ihm angemessener erschien.
»Du willst mir doch nicht weismachen, du hättest jeden Tag von neun bis fünf gearbeitet? Ohne Mittagessen, ohne Zigarettenpause, ohne im Schrank zu sitzen und in der Nase zu bohren?«
Der Videomonitor in meinem Kopf zeigte mich bei genau diesen Tätigkeiten, und irgendwie bekam er etwas davon mit. »Hab ich’s doch gewusst. Ich zahle dir dreißig Stunden, und das nur, weil ich so gutmütig bin.«
Wenn wir uns auf einen Festpreis geeinigt hatten – sagen wir, dreihundert Dollar in bar für ein gestrichenes Apartment –, gab’s zuletzt einen Scheck über zweihundertzwanzig Dollar und am Ende des Jahres ein Steuerformular zum Nachweis besonderer Einkünfte. Jeder Job endete mit einem Streit, wobei ich mir meine leeren Drohungen und kindischen Flüche immer für den Heimweg aufsparte. Die Mieter hätten es gerne gesehen, wenn wir uns vor ihren Augen angebrüllt hätten, doch hatte ich mir fest vorgenommen, ihnen diesen Gefallen nicht zu tun. Zu zweit im Wagen wa ren wir Wilde, aber auf dem Gelände des Empire waren wir Botschafter unserer Rasse und benahmen uns nicht wie die übrigen Weißen, mit denen wir aufgewachsen waren, sondern wie die weißen Ausnahmegestalten, an die wir uns vage aus verschiedenen Folgen von Masterpiece Theatre erinnerten. Man hielt sich gegenseitig die Türen auf und verbrachte große Mengen Zeit damit, dem jeweils anderen den Vortritt zu lassen.
»Nach dir, Vater.«
»Aber nicht doch, mein Sohn, nach dir.«
Ohne meine Mutter h ätten wir womöglich den ganzen Tag dagestanden. »Jetzt geht schon durch die verdammte Tür!«, schnauzte sie. »Mein Gott, ihr zwei seid wie ein Paar alte Damen«.
Im Empire waren die Rollen meiner Eltern auf seltsame Weise verkehrt. Meine Mutter war zwar auch hier die umg änglichere Person, aber wenn ein Mieter einen Aufschub wollte, lernte er schnell, damit zu meinem Vater zu gehen, der ein Maß an Mitgefühl zeigte, das wir von zu Hause nicht kannten. Seine eigenen Kinder konnten keine zehn Cent aus ihm herausbekommen, aber wenn Chester Kingsley sein Portemonnaie verlor oder Regina Potts sich das Schlüsselbein brach, war er stets bereit, ihnen entgegenzukommen. Als Dora Ward mit ihrer Miete in Rückstand geriet, gewährte er ihr eine Verlängerung nach der anderen. Und als sie dann mitten in der Nacht auszog und dabei noch Herd und Kühlschrank mitgehen ließ, sagte er nur: »Was soll’s. Da mussten eh neue rein.«
»Von wegen neue«, sagte meine Mutter. »Der Herd war gerade einmal zwei Jahre alt. Was bist du nur für ein Vermieter?«
Ich hatte gehofft, ich könnte mit der Renovierung von Doras leerem Apartment ein paar Dollar verdienen, aber damit war es vorbei, als ein gemischtfarbiges Paar auftauchte, das sich als Lance und Belinda Taylor vorstellte. Meine Eltern und ich waren gerade dabei, uns die ausgeräumte Küche anzusehen, als sie an die Tür klopften, sich die Wohnung ansahen und auf der Stelle erklärten, sie würden die Wohnung so nehmen, wie sie war. Sie bräuchten lediglich einen Herd und einen Kühlschrank, um alles andere würden sie sich kümmern. »Schreinerarbeiten und was sonst noch, davon versteh ich was«, sagte Lance. Er hielt uns zum Beweis die Hände hin, und wir sahen die dicken Schwielen auf den Handflächen.
»Zeig ihnen auch die andere Seite«, sagte seine Frau. »Sie sollen auch deine Knöchel und alles sehen.«
Meine Mutter schlug vor, sie sollten in ein paar Monaten wiederkommen, aber mein Vater sah beinahe etwas Biblisches in ihrer Situation. Ein Zimmermann und seine Frau auf der Suche nach einer Herberge, fehlte nur noch der erschöpfte Esel. Er stöhnte auf, als er hörte, dass sie in einem Motel wohnten, und klappte völlig zusammen, als sie ihm ein Foto von ihren drei Kindern zeigten. »Eigentlich wollten wir hier erst ein bisschen renovieren, aber was soll ich sagen? Sie haben mich überzeugt.«
»Lass uns noch mal darüber nachdenken«, sagte meine Mutter, aber mein Vater hatte genug nachgedacht. Lance hinterlegte die Kaution in bar,
und er und seine Familie zogen am nächsten Tag ein.
Als er seine neuen Nachbarn sah, bemerkte Chester vertrauensvoll, ihm täten die Kinder Leid. »Sie und der Mann. Ich meine, ist die weiße Frau nicht abgrundtief hässlich?«
Mein Vater gab sich großherzig und versuchte es ihm
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