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Nachtprogramm

Nachtprogramm

Titel: Nachtprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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Schmerz oder Erstaunen aufschrie, war unerträglich.
    Meine nächste Sorge war, dass die Geschichte damit längst nicht vorbei war. Heute war es noch einmal gut gegangen, aber was würde passieren, wenn Lance und mein Vater das nächste Mal aneinander gerieten? Ein Mensch, der Cowboystiefel trug und Bäume fällte, um Vögel zu vertreiben, war zu allem fähig: ein Angriff aus dem Hinterhalt, gelöste Radmuttern, eine Brandbombe. Mit so etwas musste man rechnen, doch wenn mein Vater Befürchtungen dieser Art hatte, ließ er sich nichts davon anmerken. Als Lance sich umdrehte und ging, zog sich mein Vater einfach seine Arbeitshandschuhe über und machte weiter wie nach einer ganz normalen Unterbrechung, so als hätte Chester ihn gebeten, nach einem tropfenden Wasserhahn zu sehen, oder als hätten die Barrett-Schwestern ihn darauf aufmerksam gemacht, dass die Dachrinne gereinigt werden musste. Lance mochte anders empfunden haben, aber mein Vater kannte diese Art Umgang nicht. Bei IBM oder im Raleigh Country Club ging man nicht aufeinander los, und selbst wenn er sich kleine Böswilligkeiten erlaubte und Leuten im Supermarkt den Einkaufswagen in die Hacken rammte oder hinterm Steuer anderen Autofahrern zubrüllte, sie sollten sich doch einen Blindenhund anschaffen, hatte er bestimmt seit Ewigkeiten nicht mehr ernsthaft daran gedacht, sich zu prügeln. »Das muss man sich nur mal vorstellen«, war alles, was er sagte, dann schüttelte er den Kopf und zog den Anlasser der Säge.
    Die Sonne ging bereits unter, als wir das Holz auf den Wagen luden. Mein Vater fischte den Schlüssel aus seiner Tasche, und wir blieben noch eine Weile im Führerhaus sitzen, bevor wir uns auf den Heimweg machten. Gegenüber bei Minnie Edwards öffnete ein Kind die Haustür und ließ Min nies Freund ein, der unangemeldet bei ihr wohnte. Solche Dinge interessierten das Sozialamt, ganz besonders, wenn der Freund einen Job hatte und mit in den Haushalt einzahlte. In regelmäßigen Abständen kam ein Sachbearbeiter vorbei, um nach männlichen Kleidungsstücken oder unge wöhnlichen Neuanschaffungen Ausschau zu halten, und von meinen Eltern wurde dasselbe erwartet. Der Mann ging ins Haus, kurz darauf kam Minnie vor die Tür und winkte meinem Vater, sein Wagenfenster herunterzulassen.
    »Mein Bruder«, sagte sie. »Gerade aus der Armee entlassen.« Das ewige Versteckspiel. Die immer gleichen Ausreden.
    »Und? Wie denkst du darüber?«, fragte mein Vater. Er meinte nicht Lance oder Minnie Edwards Freund, sondern alles zusammen. Technisch gesehen gehörte das alles uns – die Rasenflächen, die Häuser, die mit Kies bestreuten Auffahrten. Es war der Lohn für besondere Geschäftstüchtigkeit: ein Fleckchen Erde, das mit der Zeit weiter wachsen würde, Grundstück um Grundstück, bis man sich nicht mehr weiter von diesem Ort entfernen konnte, ohne von Sorge und einem schlechten Gewissen geplagt zu werden.
    Lance und seine Familie zogen schließlich aus, aber erst, nachdem eine scheinbar grundsolide Badezimmerdecke ohne Fremdeinwirkung seiner Frau auf den Kopf stürzte. Mit dicken Verbänden und einem Halskorsett kam sie in den Gerichtssaal gehumpelt, ein ebenso lächerliches wie leicht zu durchschauendes Manöver, aber die Geschworenen fielen darauf herein und sprachen ihr eine Entschädigung zu. Später erfuhren wir, dass sie sich getrennt hatten. Er war mit einer anderen durchgebrannt. Sie war Zimmermädchen in einem Hotel. Auch Chester trennte sich später von seiner Frau und nahm nicht nur sämtliche Armaturen, sondern obendrein auch die Win terfenster mit.
    Eine Sorge folgte der anderen, und mein Vater schien sie beim Blick durch die Windschutzscheibe alle vorbeiziehen zu sehen: die Frau, deren Sohn sein Zimmer anzünden würde, der Mann, der eine Autobatterie durch das Fenster seiner Nachbarn werfen würde, ein undeutlicher, wirbelnder Strom böswilliger Mieter, die sein Imperium Stein um Stein auseinander nehmen würden.
    »Ich wäre dir zu Hilfe gekommen, wenn Lance dich geschlagen oder sonst wie angegriffen hätte«, sagte ich.
    »Aber sicher«, sagte mein Vater, und für einen Moment glaubte er es sogar. »Der Typ wusste nicht, mit wem er es zu tun hatte, was?«
    »Absolut nicht.«
    »Wir beide, Seite an Seite, mannomann, das wäre ein Anblick gewesen!« Wir mussten beide lachen, Claudius und Nero im Führerhaus eines Toyota Pritschenwagens. Mein Vater schlug mir mit der Hand aufs Knie und fuhr los. »Ich gebe dir zu Hause einen Scheck«, sagte

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