Nachtprogramm
Grad, aber in seinem Wohnzimmer war es noch mal gut fünf Grad wärmer. »Hier drinnen ist es wie im Pizzaofen«, sagte er, allerdings nicht im Ton einer Entschuldigung, sondern als sei er stolz darauf. Ich blickte auf die Klimaanlage, die ausgestöpselt mitten im Zimmer auf dem Boden lag, und auf die Reihe geschlossener Fenster, durch die man auf den Wohnturm nebenan sah.
»Wenn Ihnen heiß ist, können Sie natürlich ...« Er schob die Hände in die Taschen seiner Shorts und blickte auf seine nackten Füße herab. »Sie können natürlich ... na, Sie wissen schon.«
Ich dachte, er meinte, ich könnte wieder gehen, aber das schien mir dumm, wo ich doch schon einmal da war. »Schon gut«, sagte ich. »Ich habe auch keine Klimaanlage zu Hause.«
»Oh, ich habe ja eine«, sagte er. »Ich benutze sie nur nicht.«
»Richtig.«
»Die gehörte zum Apartment.«
»Wie schön.«
»Schön, wenn man auf Klimaanlagen steht.«
»Was Sie nicht tun«, sagte ich.
»Nein«, sagte er, »ganz und gar nicht.«
Normalerweise zeigte ein Kunde einem nach ein oder zwei Minuten Smalltalk den Staubsauger und verdünnisierte sich. Martin starrte weiter auf seine Füße, und ich begriff, dass, wenn ich je hier fertig werden wollte,
ich die Initiative ergreifen müsste. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, fange ich mit der Küche an«, sagte ich.
»Wo immer Sie wollen.« Er ging nach nebenan und lehnte gegen den Türrahmen, als ich hinterherkam. Man sah gleich, dass der Typ nicht selbst kochte. Der Herd sah aus wie geleckt, und auf der Küchenplatte stand nichts außer einer Kaffeemaschine.
»Normalerweise bin ich an Wochenenden nicht hier«, erklärte er. »Jedenfalls nicht im Sommer.«
Ich suchte unter der Spüle nach den Putzutensilien. »Ach, ja?«
»Freitags nehme ich gleich den ersten Bus nach Fire Island«, sagte er. »Waren Sie schon mal da? Auf FIRE ISLAND?«
Er sagte Fire Island so, als sei es ein geheimer Code, das Signalwort, um ihm den Mikrofilm zuzustecken. Ich erklärte ihm, ich sei noch nie dort ge wesen, und er setzte sich auf die Küchenplatte. »Sie waren tatsächlich noch nie auf FIRE ISLAND?«, fragte er. »Ich dachte, jeder war schon mal da.«
»Jeder außer mir.« Ich öffnete den Kühlschrank, der bis auf eine Dose Cola Light und Dutzende von kleinen Fläschchen mit irgendeiner klaren Flüssigkeit leer war. Hätte man mich gefragt, hätte ich auf ein Medikament zur Behandlung irgendeiner psychischen Störung getippt. Unterdessen ließ er mit seiner Fire-Island-Geschichte nicht locker.
»Ich kann Ihnen gerne Informationsmaterial geben«, sagte er, und bevor ich ablehnen konnte, hatte er eine Schublade aufgezogen und drückte mir einen Prospekt in die Hand. Auf dem Umschlag waren ein Dutzend kerniger Männer zu sehen, die sich an Bord eines Ausflugsbootes vergnügten. Alle hatten nackte Oberkörper, und einige trugen nichts weiter als einen Stringtanga. Mir war klar, dass er einen Kommentar von mir erwartete, doch stattdessen zeigte ich auf eine winzige Figur, die im Hintergrund am Ufer stand. »Ist das ein Angler?«, fragte ich.
»Kann sein«, sagte Martin. »Aber das ist nicht die Hauptsache auf FIRE ISLAND.«
Ich gab ihm die Broschüre zurück. »Mir fehlt die Geduld zum Angeln. Krabben fischen mit dem Netz, das schon eher. Sagen Sie, haben Sie Geschwister?«
Der plötzliche Themenwechsel schien ihn aus dem Konzept zu bringen. »Eine Schwester. Drüben in New Jersey. Aber auf FIRE ISLAND, wissen Sie, da ...«
»Und was ist mit Ihren Eltern?«
»Mein Vater starb vor ein paar Jahren«, sagte er. »Aber meine Mutter ist noch da.«
Er schien nicht sonderlich daran interessiert, über seine Familie zu reden, also hakte ich nach, in der Hoffnung, ihn zu vertreiben und meine Ruhe zu haben.
»Wen mag Ihre Mutter lieber, Sie oder Ihre Schwester?«
»Keine Ahnung«, sagte er. »Warum fragen Sie?«
»Nur aus Neugierde. Nehmen Sie sie manchmal mit nach Fire Island?«
»Nein.«
»Na ja, auch gut«, sagte ich.
Martin steckte die Broschüre in die Schublade und zog sich ins Wohnzimmer zurück. Er schaltete den Fernseher ein und zappte durch die Programme.
Nachdem ich ihn los war, hatte ich die Küche im Handumdrehen fertig. Danach kamen das Bad und das Schlafzimmer an die Reihe, das muffig und unaufgeräumt war und noch heißer als der Rest der Wohnung. Auf der Kommode lagen Wäschestapel und schwule Pornomagazine, wobei die abwechselnden Schichten von Hemden und Magazinen mich an Schaubilder der Erdkruste
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