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Nachtprogramm

Nachtprogramm

Titel: Nachtprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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von der Freundin einer Freundin einer Freundin erfahren, deren Ohr beim Abfragen ihres Anrufbeantworters Feuer gefangen hat. Al les ist allezeit gefährlich, und wenn es nicht bereits aus dem Handel genommen wurde, läuft derzeit zumindest eine Überprüfung – noch Fragen?
    »Okay«, sagte ich, »aber kannst du mir vielleicht genauer sagen, unter welchem Umenopf? Als ich das letzte Mal bei dir war, hattest du eine ganze Menge davon.«
    »Der ote«, erklärte sie. »Na gut, sagen wir ötlich.«
    Ich kam am späten Nachmittag des folgenden Tages bei Lisa an, fand den Schlüssel unter dem Blumentopf und ging durch die Hintertür ins Haus. Ein langer Brief auf dem Couchtisch erklärte den Gebrauch sämtlicher Elektrogeräte, vom Fernseher bis zum Waffeleisen, und jede der ausführlichen Bedienungsanleitungen endete mit dem Satz: Nach Gebrauch ausschalten und Netzstecker ziehen Am Ende von Seite drei informierte mich ein Postskriptum, dass, sollte das betreffende Gerät keinen Netzstecker haben – die Spülmaschine zum Beispiel –, ich mich vor Verlassen des Raums zu vergewissern hätte, dass das Spülprogramm durchgelaufen sei und das Gerät sich ausreichend abgekühlt habe. Der Brief ließ eine wachsende Hysterie erkennen und vermittelte indirekt die eine Botschaft: Oh- mein-Gott-der-ist-jetzt-eine-Stunde-allein-in-meiner-Wohnung. Sie hatte die Nummer ihrer Arbeitsstelle hinterlassen, die der Arbeitsstelle ihres Mannes und die Nummer der Nachbarin, allerdings hinzugefügt, dass sie die Frau nicht besonders gut kenne und ich mich nur im Notfall an sie wenden sollte. PPS: Sie ist Baptistin, sag ihr also nicht, dass du schwul bist.
    Als ich das letzte Mal allein in der Wohnung meiner Schwester war, wohnte sie in einem weiß geklinkerten Apartmentkomplex zusammen mit lauter Witwen und alleinstehenden, berufstätigen Frauen in den mittleren Jahren. Das war in den späten Siebzigern, als wir beide noch im Studentenwohnheim wohnen sollten. Doch im College war es nicht so gelaufen, wie sie sich das vorgestellt hatte, und nach zwei Jahren in Virginia war sie nach Raleigh zurückgekehrt und hatte einen Job in einer Weinhandlung an genommen. Für eine Einundzwanzigjährige war das nichts Ungewöhnliches, nur war eine verkrachte Existenz nicht das, was Lisa sich vorgestellt hatte. Schlimmer noch, es entsprach nicht dem, was von ihr erwartet wurde. Als Kinder waren uns verschiedene Rollen zugewiesen worden – die An führerin, die Trantüte, das Sorgenkind, die Schlampe –, Bezeichnungen, die uns genau sagten, wer wir waren. Als die Älteste, Hellste und Dominanteste von uns Geschwistern, galt es als ausgemacht, dass Lisa ihren Weg gehen, einen Studienabschluss in Manipulation machen und zuletzt ein mit telgroßes Land übernehmen würde. Da wir sie immer nur als autoritäre Per son erlebt hatten, erfüllte uns ihr Abstieg mit einer gewissen Genugtuung, andererseits war es verstörend, zu sehen, dass ihr ganzes Selbstvertrauen dahin war. Plötzlich hing sie von der Meinung anderer Leute ab, folgte bereitwillig deren Ratschlägen und knickte bei der leisesten Kritik ein.
    Ach ja? Meinst du wirklich? Sie war weich wie Wachs.
    Meine Schwester brauchte Geduld und Verständnis, aber mehr als einmal hätte ich sie lieber gepackt und ordentlich durchgeschüttelt. Wenn die Älteste aus ihrer Rolle fiel, was hieß das für den Rest von uns?
    Lisa war die mit den gr ößten Erfolgsaussichten, deshalb kam sie schlecht damit klar, an der Kasse zu sitzen und den Preis für Fünfliterkanister Burgunder einzugeben. Ich galt als faul und verantwortungslos, und niemand wunderte sich, als ich ebenfalls das College schmiss und nach Raleigh zu rückkehrte. Nachdem meine Eltern mich vor die Tür gesetzt hatten, zog ich zu Lisa in ihren weiß geklinkerten Wohnkomplex. Sie hatte ein kleines Einzimmerapartment – die Erwachsenenversion ihres alten Kinderzimmers –, und als ich schließlich auszog und sie mit einer defekten Stereoanlage und einer ausstehenden Telefonrechnung von achtzig Dollar sitzen ließ, sagten alle nur: »Na, was hast du anderes erwartet?«
    Freunden kann ich ein anderes Bild von mir vermitteln, aber in der Familie bin ich bis auf den heutigen Tag derjenige, dem man am ehesten zutraut, das Haus abzufackeln. Während ich gelernt habe, die niedrigen Erwartungen an mich zu akzeptieren, kämpfte Lisa hart um die Rückeroberung ihres Titels. Der Weinladen war nur ein vorübergehender Einbruch, und sie verließ das Geschäft, kurz

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