Nachtprogramm
Meinung. Diese von mir so beiläufig aufgesammelten Abfälle sind ihr Leben, und sie haben die Sammelei gründlich satt. Immer häufiger beginnen ihre Geschichten mit dem Satz: »Versprich mir, dass du nichts davon ver wendest.« Ich verspreche es jedes Mal, aber niemand glaubt ernsthaft, dass ich mich daran halte.
Ich war nach Winston-Salem gekommen, weil ich am College einen Vortrag halten sollte, aber auch, weil ich eine Neuigkeit zu verkünden hatte. Wenn man mit Freunden kifft, macht es Spaß, sich vorzustellen, von wem man in einer Verfilmung des eigenen Lebens gespielt würde. Das Lustige daran ist natürlich, dass nie jemand einen Film über das eigene Le ben machen wird.
Lisa und ich kifften nicht mehr, deshalb war es umso schwerer, ihr zu sagen, dass jemand die Filmrechte für mein Buch erworben hatte, was bedeutete, dass tatsächlich jemand einen Film über unser Leben drehen würde – kein Student, sondern ein echter Regisseur mit einem bekannten Namen.
»Bitte wer?«
Ich erklärte, er sei Chinese, und sie fragte, ob der Film auf Chinesisch sein würde.
»Nein«, sagte ich, »er lebt in Amerika. In Kalifornien. Er ist schon als kleiner Junge hergekommen.«
»Was macht es dann für einen Unterschied, dass er Chinese ist?«
»Naja«, sagte ich, »er hat... na, du weißt schon, Einfühlungsvermögen.«
»Ach, Brüderchen«, sagte sie.
Ich sah Hilfe suchend zu Henry, doch er knurrte nur.
»Jetzt sollen wir also auch noch in einem Film auftreten?« Sie hob ihre Leinenschuhe vom Boden auf und warf sie in die Wäschekammer. »Also«, sagte sie, »nur damit du es weißt, meinen Vogel wirst du da nicht mit rein ziehen.« Der Film würde die Zeit vor dem Papagei behandeln, doch im gleichen Moment, in dem sie sein Mitwirken so energisch ablehnte, musste ich bereits darüber nachdenken, wer Henrys Rolle spielen konnte. »Ich weiß, was du gerade denkst«, sagte sie. »Und meine Antwort ist Nein.«
Auf einer Dinner Party begegnete ich einmal einer Frau, deren Papagei die automatische Eismaschine ihres neuen Kühlschranks nachmachen konnte. »Das passiert, wenn man sie alleine lässt«, sagte sie. Es war die deprimierendste Information, die ich seit langem gehört hatte, und sie ließ mich über Wochen nicht mehr los. Da war diese Kreatur, ausgestattet mit der Gabe, seine Mitgeschöpfe im Urwald zu bluffen, und nun musste sie sich damit begnügen, das Geräusch industriell gefertigter Küchengeräte nachzuahmen.
Ich erzählte Lisa die Geschichte, doch sie sagte, es habe nichts mit Ver nachlässigung zu tun. Dann machte sie uns einen Cappuccino und gab Hen ry die Gelegenheit, seine perfekte Imitation des Milchaufschäumers vorzuführen. »Den Mixer kann er auch nachmachen«, sagte sie.
Sie öffnete die Käfigtür, und wir setzten uns und tranken unseren Kaffee, als Henry auch schon auf die Tischplatte gesegelt kam. »Wer möchte ein Küsschen?« Sie streckte ihre Zunge heraus, und er nahm die Spitze vorsichtig zwischen seine Schnabelhälften. Ich hätte so etwas im Traum nicht gewagt, nicht weil es rundheraus abstoßend ist, sondern weil er mir gründlich die Zunge zerbissen hätte. Henry mochte zwar für mich gelegentlich die Schwanzfedern spreizen, doch gilt seine ganze Treue einer einzigen Person, was, wie ich glaube, ein weiterer Grund ist, warum meine Schwester so vernarrt in ihn ist.
»War das ein prima Küsschen?«, fragte sie. »Hat es dir geschmeckt?«
Ich erwartete ein Ja oder Nein und war deshalb enttäuscht, als er die Frage nur noch einmal wiederholte: »Hat es dir geschmeckt?« Ja doch, Papageien können sprechen, nur haben sie leider keine Ahnung, was sie da sagen. Als Lisa ihn bekam, sprach Henry die paar Brocken Spanisch, die er von seinen Fängern aufgeschnappt hatte. Wenn man ihn fragte, ob er gut geschlafen hatte, sagte er »Hola« oder »Bueno«. Er hat Phasen, in denen er sich für ein oft gehörtes Geräusch oder einen Satz begeistert, nach einer Weile wendet er sich dann anderen Dingen zu. Als unsere Mutter starb, lernte Henry zu weinen. Er und Lisa steckten sich gegenseitig an, und beide heulten stundenlang. Ein paar Jahre später, als Lisa einen kurzen akademischen Durchhänger hatte, machte sie ihn zu ihrem Stimmungstherapeuten.
Wenn man bei ihr anrief, h örte man ihn im Hintergrund kreischen: »Wir lieben dich, Lisa!« Oder: »Du schaffst es!« Dies wurde nach einiger Zeit abgelöst durch den sehr viel praktischeren Satz: »Wo sind meine Schlüssel?«
Nachdem wir unseren
Weitere Kostenlose Bücher