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Nachtprogramm

Nachtprogramm

Titel: Nachtprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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krähen bei Ihnen die Hähne?«, ist eine gute Frage, um das Eis zu brechen, da jedes Land eine ganz eigene Vorstellung davon hat. In Deutschland, wo die Hunde »wau wau« machen und sowohl Frösche wie Enten »quak« sagen, begrüßt der Hahn den Morgen mit einem kräftigen »kikeriki«. Griechische Hähne krähen »kiri-a-kii«, und in Frankreich machen sie »coco-rico«, was so klingt wie eins von diesen fürchterlichen alkoholischen Mixgetränken, bei dem ein Pirat auf dem Etikett zu sehen ist. Wenn ich erkläre, dass die Hähne in Amerika »cock-a-doodle-doo« sagen, sehen mich meine Gastgeber immer nur ungläubig und mitleidig an.
    »Wann werden die Weihnachtsgeschenke ausgepackt?«, ist eine andere gute Frage, um ins Gespräch zu kommen, da die Antwort viel über den jeweiligen Nationalcharakter verrät. Dort, wo die Geschenke traditioneller weise am Heiligen Abend ausgepackt werden, scheinen die Leute eine Spur frommer und familienverbundener zu sein als die, die damit bis zum Weihnachtsmorgen warten. Sie gehen zur Messe, packen die Geschenke aus, essen spät zu Abend, gehen am nächsten Morgen wieder zur Kirche und verbringen den Rest des Tages damit, ein weiteres üppiges Mahl zu ver speisen. Die Geschenke sind meist den Kindern vorbehalten, und die Eltern übertreiben es in der Regel auch nicht. Für mich wäre das nichts, aber ich denke, es ist was für jene, die Essen und die Familie Dingen von echtem Wert vorziehen.
    In Frankreich und Deutschland werden die Geschenke am Heiligen Abend verteilt, während die Kinder in den Niederlanden ihre Geschenke am 5. Dezember, dem Nikolaustag, auspacken. Das kam mir seltsam vor, bis mich ein Mann namens Oscar auf dem Weg von meinem Hotel zum Amsterdamer Bahnhof über die Details aufklärte.
    Anders als der fröhliche, fettleibige amerikanische Santa ist der Heilige Nikolaus übertrieben dünn und ähnlich wie der Papst gekleidet, wobei die Krönung seines Gewands sein hoher Hut ist, der aussieht wie ein bestickter Kaffeewärmer. Die Tracht, so wurde mir erklärt, stammt noch von seinem vorherigen Amt, als er Bischof in der Türkei war.
    »Entschuldigung«, sagte ich, »könnten Sie das noch einmal wiederholen?«
    Man will nicht gerne als kultureller Chauvinist auftreten, aber das kam mir alles grundfalsch vor. Zum einen hat Santa nie wirklich etwas gearbeitet. Er hat sich deshalb auch nicht auf sein Altenteil zurückgezogen, und was noch wichtiger ist, er hat nie etwas mit der Türkei zu tun gehabt. Da ist es viel zu gefährlich, und die Leute dort würden ihn auch nicht wirklich ha ben wollen. Danach gefragt, wie er von der Türkei zum Nordpol gelangte, erklärte mir Oscar im Ton tiefster Überzeugung, der Heilige Nikolaus wohne gegenwärtig in Spanien, was ebenfalls einfach nicht wahr ist Obwohl er wahrscheinlich wohnen könnte, wo er wollte, hat Santa sich den Nordpol ausgesucht, gerade weil es dort so unwirtlich und einsam ist. So kann niemand ihn ausspionieren, und er muss keine unliebsamen Besucher an der Tür fürchten. In Spanien kann jederzeit irgendwer vor der Tür ste hen, und in seinem Aufzug w ürde er überall gleich erkannt. Vor allem aber, abgesehen von ein paar freundlichen Floskeln, spricht Santa kein Spanisch. »Guten Tag. Wie geht’s? Möchtest du ein paar Süßigkeiten?« Prima. Und wahrscheinlich könnte er sich so durchschlagen, aber für mehr reicht es nicht, und er mag bestimmt keine Tapas.
    W ährend unser Santa auf einem Schlitten fliegt, kommt die holländische Version mit dem Boot und steigt anschließend auf ein weißes Pferd um. Das Ereignis wird im Fernsehen übertragen, und eine große Menge versammelt sich am Ufer, um ihn zu empfangen. Ich bin mir nicht sicher, ob es dafür ein festes Datum gibt, aber in der Regel trifft der Nikolaus Ende November ein und bleibt für ein paar Wochen und fragt die Leute, was sie wollen.
    »Und er ist ganz allein?«, fragte ich. »Oder bringt er ein paar Einsatzkräfte mit?«
    Oscars Englisch war nahezu perfekt, aber mit einem Wort, das norma lerweise die Verst ärkung von Polizeitruppen bezeichnet, kam er nicht klar.
    »Helfer«, sagte ich. »Hat er irgendwelche Elfen dabei?«
    Vielleicht bin ich überempfindlich, aber irgendwie fühlte ich mich persönlich beleidigt, als Oscar die bloße Vorstellung als grotesk und realitätsfremd abtat. »Elfen«, sagte er. »So was Albernes.«
    Die W örter albern und realitätsfremd erhielten eine neue Bedeutung, als ich erfuhr, dass der Heilige Nikolaus allen

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