Nachtraeglich ins Glueck
sah ihm an, dass er starke Schmerzen haben musste, und empfand ein furchtbares Gefühl der absoluten Hilflosigkeit, weil sie ihm nicht sofort helfen konnte. Erst einmal müsste sie ihn genauer untersuchen, bevor er ein Schmerzmittel bekommen könnte.
„Du bist ein tapferer Junge“, zärtlich streichelte sie seinen unverletzten Arm und kämpfte mit den Tränen. „Dir wird es gleich wieder besser gehen.“
Sie hob den Blick und begegnete Drews besorgten Augen. „Weißt du, ob er auf den Kopf gefallen ist?“
Hilflos schüttelte er den Kopf und streichelte abwesend über Matties Haare. „Ich weiß es nicht ... aber ... aber ich denke nicht.“
„War er bewusstlos?“
„Nein“, Drew schluckte schwer. „Als er gestürzt ist, hat er geschrien und hörte erst auf, als ich in den Garten kam.“
„Gut“, auch Sam schluckte schwer. „War er desorientiert?“
Drew schüttelte mit weit aufgerissenen Augen den Kopf.
„Hat er sich erbrochen?“
Wieder schüttelte er den Kopf.
Als wäre dies sein Stichwort gewesen, drehte Mattie den Kopf in ihre Richtung und übergab sich auf ihren Kittel, bevor er in Tränen ausbrach.
Drew wurde beinahe panisch und fragte sie aufgebracht. „Was ist mit ihm? Sollen wir ins Krankenhaus fahren?“
Tröstend streichelte Sam Matties Kopf. „Das ist normal und kommt von dem Schreck. Außerdem denke ich, dass er eine leichte Gehirnerschütterung hat ...“
„Eine Gehirnerschütterung?!“
Wieder begegnete sie seinem Blick und nickte kurz. „Ich mache noch ein paar Tests und röntge auch seinen Arm.“
Er presste seine Lippen aufeinander. „Der ist gebrochen, oder?“
„Ich denke schon.“ Sie atmete bebend ein und lächelte hilflos.
„Oh Mann, Kumpel“, Drew zitterte immer noch und beugte sich zu Mattie hinunter, um ihn auf den Kopf zu küssen. „Du machst immer Sachen.“
„Entschuldige, Dad“, flüsterte Mattie erschöpft.
„Ich bin selbst schuld“, gestand Drew mit einem schwachen Lächeln ein und setzte sich auf die Kante der Liege, bevor er Matties unverletzte Hand in seinen Schoß zog und sie festhielt. „Warum baue ich Idiot dir auch ein Baumhaus.“
„Weil du mich lieb hast“, unerschrocken blinzelte Mattie zu seinem Dad hinauf und verzog das schmerzverzerrte Gesicht zu einem lausbübischen Lächeln.
„Das kannst du laut sagen“, erwiderte sein Vater weich und tröstete Mattie weiter.
Sam ignorierte die brennenden Tränen hinter ihren Augen und wandte den Blick von dem Paar mit dem gleichen braunen Haarschopf ab, um das Ultraschallgerät zu holen und ihren Kittel auszuziehen.
Innerlich zitterte sie wie Espenlaub und musste sich hochgradig konzentrieren, um nichts falsch zu machen. All ihre Gedanken stoben in alle Richtungen. Bisher hatte sie zwar immer Mitgefühl für ihre kleinen Patienten empfunden, war jedoch unbeteiligt gewesen und hatte ihrer Arbeit gewissenhaft nachgehen können. Doch den eigenen Sohn verletzt vor sich zu haben, war eine ganz andere Nummer. Am liebsten hätte sie ihn einfach an sich gedrückt und nicht mehr losgelassen, bis es ihm besser ging, aber das war nicht möglich.
Michelle kam wieder hinein und wurde gleich wieder nach draußen geschickt, um alles für einen Gips vorzubereiten, bevor Sam das Licht ausschaltete und das Ultraschallgerät neben die Liege rollte.
„Was tust du da?“
„Ich schaue mir deinen Bauch von innen an, Liebling“, da sein T-Shirt den Sturz sowieso nicht unbeschadet überstanden hatte, schnitt sie es auf und verteilte ein wenig Gel auf seinem Bauch.
Mattie seufzte kummervoll auf. „Das war mein Lieblingsshirt.“
„Wir kaufen dir ein neues“, Drew hielt noch immer die Hand seines Sohnes und lächelte ihm aufmunternd zu, auch wenn Sam sah, dass ihm der Schreck in allen Gliedern stecken musste. Da er lediglich T-Shirt, Sommerbermudas sowie ein Paar alter Laufschuhe trug, ging sie davon aus, dass er sofort mit Mattie in die Praxis gefahren war, nachdem der Kleine gestürzt war.
Sorgfältig untersuchte sie Matties Bauch und merkte während der Untersuchung, wie sie geradezu hypnotisch auf jeden Fleck nackter Haut ihres Sohnes starrte. Sie war nie in den Genuss gekommen, ihren neugeborenen Sohn von oben bis unten anzuschauen, seine Finger und Zehen zu zählen und jeden Wachstumsschub zu beobachten, daher konnte sie sich nicht an ihm sattsehen und musste sich beherrschen, ihn nicht an sich zu ziehen. Der unheimliche Mutterinstinkt, der sie mit einem Schlag traf, erschreckte sie und
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