Nachtruf (German Edition)
presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Die nasse Seide des Kleides war im Kerzenlicht beinahe durchsichtig. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und blickte zu ihren schmutzigen, blutenden Füßen hinunter. Ihr Verstand drohte auszusetzen. Carteris fasste sie an den Schultern, und seine Finger bohrten sich schmerzhaft in ihre Haut. Ihr Kopf fiel nach hinten, als er sie heftig schüttelte.
„So solltest du nicht aussehen!“ Schweiß glänzte auf seinem Gesicht, und in den Höhlen um seine geröteten Augen lagen violette Schatten. „Ich habe das alles sorgfältig geplant! Ich werde nicht zulassen, dass du mir das ruinierst!“
Er zog sie in das kleine Badezimmer und stellte die Dusche an. Ein dünner Wasserstrahl quoll heraus. Er verließ das Bad. Als er zurückkehrte, schmiss er ihre Shorts und das Top auf den Boden.
„Wasch dich. Du hast fünf Minuten, um wieder herauszukommen. Ich garantiere dir, dass du es bereuen wirst, wenn ich dich da rausschleifen muss.“
Die Tür fiel krachend ins Schloss. Rain war allein in dem engen, fensterlosen Raum. Sie betrachtete in dem beschlagenen Spiegel über dem Waschbecken ihr Spiegelbild: Die Stirn war mit Schmutz verschmiert, und auf ihrer Wange verlief ein langer Kratzer, den sie sich auf ihrer Flucht durch das Gebüsch geholt hatte. Sie dachte an die menschlichen Überreste, über die sie gestolpert war. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie das Kleid auszog und unter den schwachen Wasserstrahl trat.
Carteris lockte Trevor hierher, um ihn zu töten. Niemals würde er einem von ihnen erlauben, diesen Ort lebend zu verlassen.
Wie betäubt kam Rain eine Weile später aus dem Badezimmer. Sie hatte sich ihre eigenen Kleider wieder angezogen, nur ihre Haare waren noch nass und ungekämmt. Desiree sang mittlerweile wieder. Ihre unvergessliche Stimme wurde von einem stimmungsvollen Orchesterarrangement begleitet.
Du wolltest mich nicht, aber ich schwöre bei Gott, du wirst dafür bezahlen.
Ihre Mutter sang von Zurückweisung und Rache. Rain zitterte am ganzen Körper, als sie langsam ins Kerzenlicht trat.
Die lederne Arzttasche war auf dem Tisch ausgeleert worden. Fläschchen mit Pillen, Ampullen und Spritzen lagen verstreut darauf herum. Carteris stand daneben, einen schwarzen Schlauch eng um den Oberarm gebunden. Er spritzte sich irgendetwas. Rain konnte nicht erkennen, was es war. Seine Augen waren geschlossen, und sobald die Wirkung der Droge einsetzte, entspannte sich sein Gesichtsausdruck. Als er sie schließlich ansah, erwähnte er mit keinem Wort, was er soeben getan hatte. Seelenruhig legte er die leere Spritze auf den Tisch und streckte die Hand aus.
„Komm her!“, befahl er. Zu verängstigt, um sich zu widersetzen, legte Rain ihre Hand in seine. „Deine Finger sind ganz kalt, Kleines.“
Er hatte sich umgezogen. Seine schmutzige Kleidung war verschwunden, stattdessen trug er nun eine saubere Hose und ein frisches Hemd. Carteris schlang den Arm um sie, führte sie zur Couch und setzte sie neben sich auf die Kissen.
„Er wird bald hier sein. Und du wirst eine Entscheidung zu treffen haben. Du wirst zwischen ihm und mir wählen müssen. Vor dreißig Jahren habe ich deine Mutter vor dieselbe Wahl gestellt.“
Sie zog scharf die Luft ein, als er ein Skalpell aus seiner Hemdtasche holte. Er machte jedoch keine Anstalten, das Instrument zu benutzen, sondern drehte es in seiner Hand und betrachtete die schimmernde Klinge.
„Desirees Tod war die erregendste sexuelle Erfahrung meines Lebens“, murmelte er. „Bis heute träume ich davon.“
„Aber Sie waren nicht … dabei. Sie sind verwirrt. Sie konnten gar nicht …“
„Bist du dir sicher?“ Er neigte den Kopf, um sie anzusehen, und sie versuchte angestrengt, seine höhnische Bemerkung mitallem, was sie über den tragischen Vorfall wusste, in Zusammenhang zu bringen. Der Tod ihrer Eltern war ein erweiterter Selbstmord gewesen, ein klarer Fall, der längst abgeschlossen war.
„Sie haben gekämpft … beide hatten Speed im Blut“, stammelte sie. „Das stand im toxikologischen Bericht. Gavin, mein Vater, stach auf meine Mutter ein und dann …“
„… schnitt er sich selbst die Kehle durch?“, beendete Carteris ihren Satz. Seine Lippen verzogen sich zu einem kalten Lächeln. „Deine Eltern waren lasterhafte Rockstars, die sich über jegliche Moral hinweggesetzt haben. Sie hatten bereits ein uneheliches Kind. In der damaligen Zeit war das ziemlich skandalös. Und
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