Nachtruf (German Edition)
als Moderatorin bei Midnight Confessions mit sich brachte. Einige Leute hatten sie um ein Autogramm gebeten, was sie ihnen auch gegeben hatte. Ein paar weitere hatten wissen wollen, wie es war, Desiree Sommers’ Tochter zu sein. Es gab ein offensichtliches Interesse an diesem Thema. Rain tat ihr Bestes, solche Fragen zwar höflich, aber doch so vage wie möglich zu beantworten. Was noch schlimmer war: Vor ein paar Minuten hatte ein Journalist vom New Orleans Trends -Magazin sie aufs Heftigste bedrängt. Der Mann hatte um jeden Preis einen Artikel über sie schreiben wollen und hatte ihre Bitte ignoriert, während des Empfangs nicht interviewt zu werden. Als sie für einen Moment von einem anderen Gast unterbrochen worden waren, hatte sie die Gelegenheit genutzt, sich aus dem Staub zu machen.
Ihre Handtasche und ihr Schultertuch lagen in Alex’ Büro. Sie würde ihre Sachen holen und dann unauffällig nach draußen verschwinden, um sich ein Taxi zu rufen.
Rain betrat den Arbeitsraum. Er war ganz in dunklem Kirschholz und rotem Leder gehalten. Eine Schreibtischlampe tauchte das Zimmer in goldenes Licht. Gerahmte Kunstwerke in verschiedenen Größen lehnten an den Wänden. Sie waren aus dem Hauptausstellungsraum entfernt worden, um Platz für Brians Arbeiten zu schaffen.
Doch die Fotografie stand wie immer an ihrem Platz.
Alex war ein begnadeter Fotograf. Es überraschte Rain nochimmer, dass das Bild, das über seinem Schreibtisch hing, tatsächlich sie selbst darstellte. Vor vielen Jahren, noch bevor Brian in sein Leben getreten war, hatten Alex und sie sich in einem Restaurant im trendigen Bywater-Viertel kennengelernt. Nach ein paar Hurricanes waren sie reichlich angeheitert gewesen, und Rain hatte schließlich eingewilligt, sich von ihm fotografieren zu lassen. Aus Angst, sie könnte ihre Meinung ändern, sobald sie wieder nüchtern war, hatte Alex keine Zeit verloren. Er hatte sie zu dem kleinen Schotterweg auf dem Damm geschleppt, von wo aus man über den Mississippi blicken konnte. Dort hatte er seine Kamera aus der Schultertasche geholt, die er immer dabeihatte, und angefangen, Fotos zu schießen. Rain hatte an jenem Abend eine Jeans und ein Spitzenhemd getragen, und der Wind, der vom Fluss herübergekommen war, hatte ihr die Haare ins Gesicht geweht. Selbst sie musste zugeben, dass die Wirkung atemberaubend war. Ihre Ähnlichkeit mit Desiree war durch Alex’ Kameralinse zum Vorschein gekommen.
Rain hörte die Tür hinter sich aufgehen. Es war Trevor, ein weiterer Flüchtling vor dem Lärm in der Galerie. Ihre Blicke trafen sich in dem sanften Licht des Raumes.
„Vernissagen sind nicht Ihre Welt, oder?“, fragte Rain, als er die Tür hinter sich schloss. Ihr Herz klopfte heftig, als ihr plötzlich bewusst wurde, dass Trevor und sie allein im Zimmer waren.
„Ist das so offensichtlich?“
„Ich mag auch keine großen Menschenmengen“, gab sie zu.
„Aber ich wollte unbedingt herkommen. Wegen Alex und Brian. Es ist ein großer Abend für die beiden.“
„Ich dachte, Promis mögen diese Dinge.“
„Ich bin wohl kaum ein Promi“, stellte Rain zum zweiten Mal an diesem Abend klar.
„Ihre Fans da draußen sehen das anders. Einige Leute sind fast den ganzen Abend um Sie herumgeschlichen.“
Sie folgte seinem Blick zu dem Bild über Alex’ Schreibtisch.
„Ganz zu schweigen davon, dass von normalen Leuten keine Poster gemacht werden“, setzte er hinzu und kam näher.
„Das ist kein Poster. Das ist eine Fotografie.“
Trevor hob die Augenbrauen. Seiner Miene nach zu schließen sah er darin keinen Unterschied. Rain nahm ihre Handtasche vom Schreibtisch und versuchte, die Situation herunterzuspielen. „Ich wollte vorhin bei Ihnen vorbeikommen und Hallo sagen. In Anbetracht der Umstände habe ich mich allerdings doch dagegen entschieden. Was hätte ich schon sagen sollen? ‚Schön, Sie wiederzusehen. Was macht die Jagd nach dem Serienkiller?‘ Solche Unterhaltungen ruinieren jede Partystimmung.“
„Bei dem ganzen Lärm da draußen bezweifle ich, dass irgendjemand überhaupt gehört hätte, was Sie sagen.“ Er blickte auf ihre Handtasche. „Wollen Sie gehen?“
„Ja, gleich.“
Der Pullover in dunklem Schiefergrau betonte Trevors Augen. Rain fiel auf, dass die Verletzung an seiner Schläfe beinahe abgeheilt und nur noch von einem Klammerpflaster bedeckt war. Am liebsten hätte sie die empfindliche Stelle wie vor zwei Tagen in ihrem Büro zu Hause berührt. Aber stattdessen strich sie
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